Ich bin für zwei Tage beruflich in Hamburg – und schaffe es endlich mal, einen Blick ins Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) zu werfen. Das ist dieser große, herrschaftliche Bau direkt am Hauptbahnhof, 1877 errichtet und seither Heimstätte einer stetig wachsenden Kunstsammlung.
Gleich dreimal war ich in den letzten Tagen mit der Nase auf das Museum gestupst worden:
Einmal in einem tollen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, Aufhänger: das Drama um den neuen (und nun doch nicht) Vize-Chefredakteur des „Spiegel“, einem Artikel, der szenisch in der ehemaligen Spiegel-Kantine beginnt. Die sei, ach guck, im Designtrakt des MKG detailgetreu nachgebaut, schreibt die SZ. Wahnsinn, wusste ich nicht, will ich sehen.
Dann: eine Schnipselmeldung in einer Frauenzeitschrift, der „Myself“, glaube ich. Der Hinweis: Im MKG finde derzeit eine Ausstellung der „Bösen Dinge“ statt, eine Ansammlung lauter Geschmacklosigkeiten – verbunden mit den Überlegungen, ab wann und warum eigentlich ein Gegenstand zum Unding wird. Ja, das interessiert mich auch.
An den dritten Anstupser erinnere ich mich nicht mehr so genau, weiß aber seither, dass im Museum auch Mode gezeigt wird.
Ach, Leuts, was soll ich sagen, mehr Ansporn braucht’s ja gar nicht, um ein Museum aufzusuchen, oder?
Den Businesskram (Koffer, Laptoptasche, Tagungsordner) bei der nettesten Garderobiere der Welt abgegeben, die mir auf meine Überlegung hin, ob ich meine Jacke mit hinein nehmen soll, genau erläutert, auf welchen Etagen es warm ist und wo eher kühl, die mir geduldig den Weg zum Museumscafé erklärt, und davon schwärmt, wie schön ihr Museum seit dem Umbau 2012 geworden sei, wie lebendig und so viel interessanter als zuvor.
Und dann hinein. Zunächst: die Mode. Hübsche Stücke, historische Kleider, verrückte Modelle (ein Kleid wie eine sich windende Schlange etwa oder ein Mantel mit vier Ärmeln), provokante Schnitte, gewagte Muster. Die Ausstellung „Inside Out“, die laut Museum vor allem solche „Mode zeigen will, die das Innere nach außen kehrt und Oberflächen aufbricht“, ist überschaubar, für alle Designphilosophen da draußen aber bestimmt Stimulus für Diskussionen über die Entstehung und Wirkung von Kleidungsstücken und Trends.
Sammelsurium der Hässlichkeiten
Über die „bösen Dinge“ schließlich muss ich echt grinsen. Was sich Menschen alles so einfallen lassen (und wir am liebsten nach der ersten Schrecksekunde wieder vergäßen): viereckige Tässchen, aus denen man kaum trinken kann ohne zu kleckern, unsägliche Obama-Devotionalien, Mini-Pianos aus filigranem Kristall, viele als Souvenirs getarnte Scheußlichkeiten.
Das meiste ist einfach Kitsch, einiges obszön, aber – und das ist das Interessante der Ausstellung – die Kuratoren machen sich die Mühe, eine Erklärung zu finden, warum wir diese Stücke so hässlich oder befremdlich finden. „Materialvergewaltigung“ heißt etwa das Urteil über das Glaspiano. Oder: „überzogenes Exklusivitätsgehabe“ über die elitär-peinlichen Fuji-Wasserflaschen. „Übertriebene Oberflächenbehandlung“ attestieren die Museumsmacher vergoldeten Schatullen, und „Unzweckmäßigkeit“ der besagten viereckigen Tasse. So bekommt Hässlichkeit eine Zuordnung, wir wissen, warum wir eigentlich „igittigitt“ sagen.
Nette Idee zudem: die Tauschbörse. Jeder Besucher darf ein besonders arges Stück von zu Hause mitbringen, etwas, womit er nichts anzufangen weiß, etwas, das nur herumsteht oder im Keller vor sich hin vegetiert (und nein, der Ehepartner gilt nicht). Darf das Unding im Museum abgeben, wo es mit hübschem Anhänger versehen (Wem hat es gehört?, Warum wollte jener es nicht mehr haben?) – und ausgestellt wird. Dafür darf er sich wiederum ein Stück aus der Sammlung aussuchen.
Was da so alles zusammenkommt. Das meiste habe ich schon dreifach in irgendwelchen Andenkenläden von Rüdesheim bis Rügen gesehen. Aber auch grässlich-rotbraune Fliesen und puppige Porzellanengelchen liegen und stehen hier rum und warten auf Tauschwillige.
Ich will nichts mitnehmen. Nichts von diesem Tisch jedenfalls.
Anders sieht es im Ausstellungsflügel gegenüber aus. Hier werden Fotos gezeigt, die ich lieber heute als morgen an meine Wand pinnen würde. Mein Gott, was ist dieser Mann für ein Bildgenie: Steve McCurry. Das ist der mit dem Portrait des afghanisches Mädchens, das so tiefernst aus seinen grünen Augen schaut.
Der US-amerikanische Fotojournalist besucht seit Jahrzehnten Länder wie Indien, Pakistan, Afghanistan, Burma und Tibet und hält seine Eindrücke in bestechenden, zum Teil auch verstörenden Bildern fest. Durch seine Fotografien ist die Welt damals überhaupt auf den Afghanistan-Konflikt aufmerksam geworden.
Farbgewaltig sind seine Bilder, mit Blick für das Wesentliche, für die Geschichte, für die Menschen. Über seine Arbeit sagte er einmal:
Wenn man mit einer Kamera in der Hand herumläuft, stellen sich die Bilder fast von selber ein. (…) Man kann nicht lange überlegen, sonst ist der Augenblick verstrichen. Es ist einfach eine Art Bauchgefühl, dem man folgt.
Mehr über Steve McCurrys Leben findet Ihr hier:
Natürlich durfte in der Ausstellung nicht fotografiert werden – und ich werde mich hüten, jpgs seiner Fotos aus dem Internet zu ziehen und hier zu posten. Nutzungsrechte und so, Ihr wisst doch. Aber: Eine Auswahl seiner beeindruckendsten Bilder (übrigens auch zum Bestellen) könnt Ihr Euch hier anschauen.
Ach ja, die Spiegelkantine? Die quietschorangene? Hab ich natürlich auch gesehen. Oder war ich nur wieder zurück in die Ausstellung der Hässlichkeiten geraten?…
Museum für Kunst und Gewerbe
Steintorplatz
Hamburg
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