Dass mir Freddy Quinn, der alte Seebär, heute Schmetterlinge in den Bauch zaubern würde, das konnte ja keiner ahnen.

Aber der Reihe nach.

Es ist ein gewöhnlicher Donnerstag Abend, die Frankfurter Januarsonne geht gerade unter, und ich frage mich, ob ich das wirklich brauche: Ein „Gute-Laune-Singen“. Nach meinem Kurztrip in den Süden ist bei mir von Winterblues keine Spur, auch sonst alles im Reinen, warum also Melodien trällern für Seele und Synapsen? Damit genau wirbt nämlich das „Ensemble Gesang und Satire“, eine vierköpfige Band, die regelmäßig Menschen zum Singen zusammenbringt. „Wir singen uns die Welt schön“ ist ihr Credo. Und: „Nach dem Singen geht keiner nach Hause, wie er gekommen ist.“

Uuh. Hier soll also etwas aufgeräumt werden. Das Gemüt, die Gefühlslage. Aber der Tatort des Geschehens: die, Achtung, Stadtbibliothek. Kann hier, ich meine, kann hier wirklich, zwischen abgegriffenen Büchern und in Plastik eingebundenen DVDs, so etwas wie gute Laune aufkommen? Euphorie gar?

Das muss ich austesten.

Erster Eindruck, während ich am Eingang die sieben Euro Eintritt bezahle und über meine Schulter linse: ein Haufen Silver Singers. Kein Wunder. Wer 25 ist, checkt vermutlich lieber Tinder als sich hierher zu verirren, wer 35 ist, muss jetzt Gute-Nacht-Geschichten vorlesen oder Aktienkurse studieren oder die Regenrinne am Eigenheim reparieren, wer 45 ist, keine Ahnung, vielleicht alles zusammen. Ich spähe in die vorderen Reihen, doch, da sind ein paar unter 50, unter 40 sogar. Und ganz hinten, dort, letzte Reihe, Randplatz, da sitzt sogar einer, vielleicht gerade mal dreißig, würde ich schätzen, der mit ordentlichem BWL-Kragen unter feinem Wollpullover so gar nicht hier her passen will. Gut, denke ich, gut. Heterogenität beruhigt mich.

Singen – ganz ohne Alibi

Ein älterer, gemütlich wirkender Herr, eine Kreuzung zwischen hr-Bass Werner Reinke und Ironieschmunzler Jürgen von der Lippe, betritt die Bühne. Begrüßt uns, hat gleich ein paar Witze parat. „Daneben ist auch ein Ton“, brummt er uns etwa zu, das ist schön, das soll aufmunternd wirken, einige von uns lachen, ich auch. Was soll man auch machen? Man steht mit wildfremden Menschen herum und soll gleich, ja, s.i.n.g.e.n. Einfach so. Nicht das „Ironic“-(und ironic ist es ja auch oft gemeint)-Mitgegröle auf der 90-er-Jahre-Party, nicht das „Happy“-Gesumme beim Fensterputzen oder Karottenschälen. Eben nicht Singen als Begleitfunktion, sondern Singen ohne Alibi. Um seines-selbst-willen. Da ist ein bisschen gruselig, man fremdelt mit sich und seiner Abendgestaltung. Die ersten holen sich im Bücherei-Café ein Glas Sekt. Whatever works.

Der nette Jürgen-von-der-Lippe dort vorn, der eigentlich Detlef heißt und den ich bereits beginne, in mein Herz zu schließen (tiefe Männerstimme, da habe ich ja eine Schwäche), nennt uns ungefragt seine „lieben Nachtigallen und Goldkehlchen“, noch bevor er den ersten Ton von uns gehört hat, raunt noch etwas von einem Schaumbad, in das wir gleich gefühlt gleiten würden; aber bevor er weitere Kosenamen und Wellness-Metaphern erfinden kann, geht’s auch schon los. „Stop“, sagt er noch. „Da hinten sitzt ein netter Herr“, sagt er, „bitte erschreckt nicht, wenn er euch nachher anspricht, er ist vom Radio und macht eine kleine Geschichte über uns.“ Ich dreh mich um, während es um mich zischelt (oho, Radio, so wichtig sind wir also!) und gucke in die gezeigte Richtung. Na klar, der junge Hemdskragentyp. Der ist also gar keiner von uns, denke ich, der will nicht singen, der will ausspähen. Verräter, denke ich noch so, meine es natürlich nicht ganz ernst, und doch – ich könnte jetzt ein Schaumbad gebrauchen.

Die kleine Band spielt die ersten Töne an, Caterina Valente, herrje. Ich hatte Schaumbad gesagt, nicht Nieselregen! Kurz Räuspern, einatmen, also denn, Blick auf die Leinwand, auf der der Text erscheint. „Sag mir quando, sag mir wann…“ Die ersten Zeilen gehen ganz flott, merke ich. Und ich merke noch etwas: Ist das etwa – Freude?

Nun geht es Schlag auf Schlag, ein bisschen Country-Folk, ein bisschen Berliner-Luft-Luft-Luft, und als wir, vielleicht nach 15 Minuten, von breeennnnend heißem Wüstensand singen (Freddy, da isser), da, hui, passiert was ganz Merkwürdiges in mir. Es kribbelt, ich muss grinsen. Das sind die Endorphine, sagt mein hübsch hobbypsychologisch-geschulter Verstand, aber mein Herz gibt ihm einen Klaps und sagt nur: Ruhe, du! Genießen! Und an meine Stimmbänder: weiter singen, bitte! Irgendwas von „Rote Rosen bring ich Dir“, steht jetzt auf dem Plan, ich kenne es nicht, es trieft vor Schmalz, aber egal, egal, her damit, ich singe euch alles!

Und ich merke: Töne sind Töne. Ob Moll oder Dur, ob in „Stube-Kammer-Küche“ komponiert (wie mein Papa, Musiklehrer, gern sagt, also stumpf Grundakkord, Dominante, Sub-Dominante) oder komplizierte Struktur – ich empfinde gerade eine immense Liebe für alle Melodien, so kitschig sie klingen, so schnulzig die zugehörigen Texte gedichtet sein mögen. Ich fließe über vor Freude und Dankbarkeit über Musik.

Und dann kommen sie schließlich doch noch, Lieder, die mich an früher erinnern, als ich als Schülerin, an meinem Keyboard sitzend, zwei, drei, vier Songbücher durchgespielt habe, „Hey Jude“, „Über den Wolken“, aber auch „My Way“ oder die wunderschöne Nabucco-Nummer „Va, pensiero“. Opern singen in der Stadtbibliothek? Könnt ihr mal sehen.

Und schließlich, meine ganz persönliche Schaumbadnummer: Griechischer Wein. „Und die alt vertrauten Lieder…“ Ich gucke mich um – checkt noch jemand hier den Meta-Text? Als hätte Udo damals beim Schreiben an uns hier gedacht, uns Goldkehlchen in der Frankfurter Stadtbibliothek. Ich schicke einen Gruß, ein Servus, in die Wolken.

Es ist schon nach zehn, als wir die Bücherei verlassen. „Denkt an die Anwohner bitte, wenn ihr rausgeht“, ruft Detlef uns hinterher, „seid leise, auch wenn Euch noch die Ohrwürmer durch den Kopf gehen.“ Es fällt uns schwer. Die Melodien, sie wollen gesungen werden. Am 9. März gibt es das nächste Treffen. Und ja, denke ich so bei mir, von mir aus darf Detlef uns dann gern wieder seine Nachtigallen und Goldkehlchen nennen.

 

Mehr über das das Gute-Laune-Singen des Ensembles Gesang unSatire (und alle künftigen Termine) gibt’s hier: www.gute-laune-singen.de

Und was mir ein Vögelchen gezwitschert hat (war’s ein Goldkehlchen? Eine Nachtigall?): im Club Voltaire gibt es auch einmal monatlich (jeden ersten Sonntag, 19 Uhr) ein gemeinsames Singen. „Wirthaussingen“ nennt sich das dann dort – und gehört auch mal ausprobiert…: www.club-voltaire.de