Es ist schon einige Zeit her, da habe ich einen Beitrag geschrieben über besondere Menschen, die mir auf Instagram aufgefallen sind, Menschen, die sich so sehr für ein Thema interessieren, sich so hineingefuchst haben, dass sie zu Profis auf ihrem Gebiet wurden. „Die neuen Experten“ habe ich sie genannt, Ihr findet den Beitrag hier (wobei ich ihn vermutlich mal wieder updaten müsste).

Natürlich stromere ich immer noch ordentlich auf Insta herum (auch wenn ich es, ähem, vielleicht wirklich mal einschränken sollte), und zwischen all den Gartenladies, den Beautyqueens und IssDichFit-Gurus ist mir diesmal wieder eine ganz eigene, aber wunderbare Gruppe aufgefallen: Menschen, die in ihrer Psychologie anders sind als die Normalos unter der Sonne, die sich als „neurodivergent“ bezeichnen, die – sagen wir es doch einfach – so ordentlich anders ticken.

In ihren Beiträgen, Podcasts und/oder Büchern teilen sie sich mit, berichten von Erlebnissen aufgrund ihrer Besonderheiten, von Arztbesuchen, auch mal von Medikamenten, sie öffnen ein Tor zu einer Welt, die vielen „Neurotypischen“ (da ist es, das Wort) sonst verschlossen bleibt. Im besten Sinne können sie ein Verständnis schaffen dafür, dass es Menschen gibt, die die Welt anders wahrnehmen – und das ist mitunter so schön, so berührend, dass ich sie vorstellen möchte:

 

1) Hat da jemand was von Oversharing gesagt? — Buchischnubbel

 

Da wäre Buchischnubbel. Und schon während ich den Namen tippe, entfährt mir ein inneres Hach. Buchi. Du Schnubbel. Sie ist vermutlich die beliebteste Person im ganzen Internet, die auf Insta aber ganz sicher. Fängt man gerade erst an, ihr zu folgen, wäre eigentlich ein Manual ganz gut, ein Wörterbuch oder wenigstens ein Vokabelheft, ein Buchischnubbel-Was-ist-was.

Mit ihren Begriffen, kleinen Anekdoten, ihren rätselhaften Abkürzungen hat sie einen eigenen kleinen Kosmos geschaffen, eine Geheimwelt, die sich einem nur Stück für Stück erschließt, in die man dann aber umso lieber immer wieder hineinschlüpft. Ein kleines Wonderland. Nie kitschig, immer authentisch.

Die Menge ihrer Instastorys ist legendär

Da wäre ihre Liebe zu einem Drogeriemarkt, der eine Backmischung (muss es dann nicht heißen: Bratmischung?) für Dinkel-Kaiserschmarrn führt, ihre Obsession für Schaumy (ha, seht ihr, schon eine erste Vokabel, die ihr gleich mal lernen dürft!), das ist Cappuccino mit einer hübsch dicken Schaumkrone nämlich — gepaart mit einer tief empfundenen und immer wieder ordentlich bezeugten Abneigung gegen Matcha Latte. Und da wäre ihre Beziehung zu Ehemann B., einem Musiker, dessen Echtname diesen Buchstaben noch nicht einmal enthält (es ist alles ein bisschen anders in Buchi-Land) und ihre (leider berechtigte) Sorge um seine Gesundheit.

Sie postet gnadenlos witzige, ja intelligent-zärtliche Memes über Sissi und Franzl und kommentiert vor der Instakamera aktuelle Aldi– und Lidl-Angebote (typische Buchi-Bewertung: „Lieb!“). Es gibt ein Scheidungsamt in diesem Buchi-Land, und mit dem Gang zu dieser Institution droht sie ein ums andere Mal. Sie schreibt über Bücher, über Probleme mit IKEA-Bestellungen, zeigt Bilder von ausgesetzten Stühlen und Tischen, und den ein oder anderen davon schleppt sie gern mal in ihr Zuhause, was wieder neue Anekdoten produziert. Die Menge ihrer täglichen Insta-Storys ist ohnehin legendär. Sind es 20, sind es 80?

Und dann sind da – und deswegen gehört sie unbedingt in diese Liste – ihre mentalen Struggles, die sie regelmäßig und offen thematisiert. Ihr Kampf gegen Ängste, ihr Umgang mit ihrem ADHS, also ihrer Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung, die sie erst im Erwachsenenalter diagnostiziert bekommen hat. In der Tageszeitung taz konnte man außerdem ein Jahr lang ihre Kolumne über ihre Erfahrungen mit PMS lesen, dem prämenstruellen Syndrom, und das war mal tragisch, oft komisch, immer sehr unterhaltsam.

Als die Kolumne auslief, rief Buchischnubbel eine neue Reihe ins Leben: eine regelmäßige Artikelserie über ADHS. Die taz wollte davon nichts wissen (selber schuld), jetzt veröffentlicht Buchischnubbel die Texte eben auf Patreon.

 

Sehr nahbar, sehr authentisch

Sie erzählt, wie sie versucht, wegen des ADHS-Medikaments und möglicher Wechselwirkungen auf Koffein zu verzichten (der geliebte Schaumy!…), welche Strategien sie anwendet, um ihre Bachelorarbeit zu Papier zu bringen, wie sie versucht, ihre Ängste um die Gesundheit ihres Mannes in den Griff zu bekommen. Sie ist nahbar, sie antwortet auf Nachrichten, auf Fragen. Welche Comfy-Serien helfen bei Seelesnöten? Buchi schickt ne Liste. Wie denkst Du über Wechselwirkungen von Medikament xy mit Lebensmittel yx? Buchi antwortet. Bei knapp 15.000 Followern ne Hammerleistung.

Man sollte sie und ihre Nettigkeit (und ihr Oversharing) aber bitte nicht überstrapazieren oder gar ausnutzen. Buchi braucht auch Ruhe, Vorhänge zu, Bett, Schreiben. Dann träumt sie sich in „ein Reetdachhaus, mit eigenem Bachlauf, alle meine Freund*innen wohnen fußläufig, der Buchhandlung vor Ort ist ein 24h-Kiosk angeschlossen – so ist niemand jemals alleine –, es ist verboten, dem Postboten keinen Kaffee anzubieten“*. Nehmt bitte dies als Buchi Schnubbel in a nutshell. Eine Bucheckern-Nutshell. Lieb.

 

 

  • Für Fans von: Pippi Langstrumpf, Alice im Wunderland, Vintagemöbeln, Aldikatalogen, Tiny Houses im Mondschein.
  • Was neurotypische Menschen von ihr über ADHS lernen können: Ja, es gibt sie, die traurigen, grauen Tage, wenn dem ADHS-Hirn alles zuviel wird. Aber wenn es ihm gut geht, dem ADHS-Hirn, wie bunt, eindrucksvoll, um tausend Dimensionen reicher ist die Welt! Wie assoziativ lässt es dich durchs Leben gehen! Das ADHS-Hirn, ein Wanna-Have.
  • Was (andere) ADHS-ler und Menschen mit Ängsten von ihr lernen können:
    Es geht immer weiter. Auch mit ADHS ist ein Studium drin, ja, sogar ein Buchvertrag: Im März bringt Buchi Schnubbel bei Rowohlt (unter ihrem Echtnamen Sarah Lorenz) einen Roman heraus („Mit Dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“, ET: 11.3.2025)
  • Hier gehts zu ihrem Instagram-Kanal:
    https://www.instagram.com/buchischnubbel

*Zitat etwas gekürzt

 

2) ADHS meets Autismus: @chaarlottchen

Ein anderer Vibe hingegen geht von @chaarlottchen aus (auch hier wieder ein verniedlichender Name, fällt mir gerade auf, ist das ein Muster?). Charlotte, so heißt sie (wenig überraschend…) richtig, wurde als Erwachsene mit einer Kombination aus ADHS und Autismus diagnostiziert, kurz: AuDHS. Während nun @buchischnubbel, siehe oben, eher neckisch-lustig durch die Welt saust, geht es bei @chaarlottchen ernster zu, ruhiger. Sie will explizit aufklären über ihre Neurodivergenz, hat sogar zuletzt ein Buch darüber geschrieben und per Selfpublishing veröffentlicht („Nicht falsch, nur neurodivergent – Aus dem Leben einer erwachsenen Autistin mit ADHS“).

Probleme macht ihr ihr Autismus vor allem in der Kommunikation mit anderen, wie sie sagt: „Seit jeher kriege ich auf meine Fragen entweder keine passenden Antworten, verwirrte Blicke oder sogar Genervtheit.“ Das Gefühl, nicht verstanden zu werden, verfolge die studierte Philosophin „überall“, erklärt sie in einem Insta-Reel. Über 600 Menschen antworten ihr darauf, schreiben etwa: „Finde mich sehr wieder“, äußern aber auch andere Erfahrungen (etwa in der Arbeit mit autistischen Kindern), tauschen sich aus. Mit Lisa Vogel betreibt sie außerdem den Podcast „Neurodiverdings“, auch hier sprechen die beiden über mentale Gesundheit, über Autismus und ADHS. „Abseits von allen Zappelphilipp-Klischees“, versprechen sie.

In ihrem Kanal gibt @chaarlottchen viele Einblicke in ihren Alltag, gerade macht sie etwa ihren Führerschein, quält sich durch die Fragen zur Straßenverkehrsordnung; sie zeigt sich bei ihrem Hobby, dem Stemmen von Schwergewichten, und, auch das ist zu sagen: Sie hat aus ihrer Instapräsenz ein Business gemacht. Mal wirbt sie für Rucksäcke, mal für Leggings, mal für Nahrungsergänzungsmittel. Doch sie macht sich auch für Feminismus stark, veröffentlicht auf Patreon und Steady regelmäßig gesellschaftskritische Texte.

„Auf einmal verstand ich mich selbst.“

 

Doppeldiagnose AuDHS in Deutschland unterrepräsentiert

Dass sie anders sei als andere Menschen, das habe sie schon immer gewusst, sagt @chaarlottchen. Sie habe versucht, sich anzupassen und ihre Empfindungen und Bedürfnisse zu verbergen. So manches war ihr regelmäßig zu viel, die Schule, die Jobs, das ständige Masking (darunter versteht die Psychologie den Versuch von neurodivergenten Menschen, so zu agieren und zu funktionieren wie neurotypische Personen, sich also nicht anmerken zu lassen, dass man anders tickt). Erst mit 29 wurde ihr ADHS diagnostiziert, ein Jahr später dann Autismus.

„Auf einmal verstand ich mich selbst, meine Biographie, die Beziehungen in meinem Leben, all die schmerzhaften beruflichen Erfahrungen“, schreibt sie auf Instagram. Es war ein langer Weg, nur jetzt wisse sie: „Wir sind nicht falsch. Nur neurodivergent.“ Auch deshalb hat sie das Buch geschrieben. Ein Leser attestiert ihr in einer Rezension, es sei „so schade“, dass es „im deutschsprachigen Bereich so wenig Repräsentanz“ für diese Doppeldiagnose gebe: „Da trifft das Buch voll in eine Lücke.“ Aktuell ist es bei Amazon auf Platz 1 der verschenkten Biografien über Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

 

  • Für Fans von: philosophischen Gedanken, klugen Herleitungen,
    Gewichtheben, Rabattcodes
  • Was neurotypische Menschen von ihr lernen können: Hinter jedem Verhalten eines anderen Menschen, das einem merkwürdig vorkommt, unpassend oder weird, könnte einfach ein anders arbeitendes Hirn stecken. Stay tolerant!
  • Was (andere) ADHS-ler und Menschen mit Autismus von ihr lernen können: Du bist nicht allein.
  • Hier gehts zu ihrem Instagram-Kanal:
    https://www.instagram.com/chaarlottchen/

 

 

3) Wie ’ne wilde Karussellfahrt: ADHS-Aufklärerin Angelina Boerger

 

Bitte alle einsteigen! Bei Angelina Boerger geht es rund: Sie vergisst Dinge, sie bringt Termine durcheinander, sie irrt auch mal kopflos durch die Gegend. Wer ihren Stories folgt, dem könnte schwindlig werden vor dieser Höchstdosis an schnellem, lautem, chaotischem Leben. Doch bitte nicht täuschen lassen: Diese Frau hat es drauf. Als Journalistin arbeitete sie unter anderem für den WDR, war für den Sender Host eines Podcasts und eines Insta-Kanals. Bis sie anfing, für ein eigenes Thema Öffentlichkeitsarbeit zu machen: für ADHS, genauer: die Erwachsenendiagnose.

Wie @chaarlottchen (siehe oben) war auch Angelina Börger 29 Jahre alt, als sie ihre Diagnose erhielt. Ein Glücksmoment für sie, endlich zu wissen, was genau da los ist in ihrem Gehirn, das ständig so wild feuerte, ihren Alltag so sehr bestimmte, sie dazu brachte, sich ständig zu verzetteln.

Und sie fängt an, ganz Journalistin, zu forschen: Liest sich in Studien ein, tauscht sich mit anderen aus, befragt Fachleute zu dem Thema. Ihr eigenes Erleben von ADHS vergleicht sie mit einem mentalen Jahrmarkt, einer „Kirmes im Kopf“, und so heißt auch der Instagram-Kanal, den sie Ende 2020 gründet – und schließlich ihr 2023 erschienenes Buch (Kiepenheuer & Witsch).

„ADHS ist mehr als eine Modeerscheinung“

 

Das Besondere daran: Sie verknüpft Studienergebnisse und historisches Wissen mit ihren eigenen Erfahrungen; ein Buch, das sich smooth wegliest, das unterhält, aber auch klug und eloquent belastbare Fakten und Informationen liefert. Ein Glücksfall. Auch auf ihrem Kanal führt sie weiter Interviews mit Experten, erzählt von ihrem eigenen täglichen Hustle mit ihrem ADHS-Brain, hält das ganze Infokarussell ordentlich am Laufen.

Zufrieden ist sie übrigens noch nicht. Aus ihrer Sicht spielt ADHS in Deutschland weiterhin eine geringe Rolle: „Trotz aller Forschung und Aufklärung hängen wir in der gesellschaftlichen Wahrnehmung hinterher“, schreibt sie auf Insta. Dabei sei längst bekannt, dass ADHS mehr ist als eine „Kinderkrankheit“ oder gar eine „Modeerscheinung“. Als sie Ende 2019 zum ersten Mal, noch vor ihrer Diagnose, darauf gestoßen sei, habe es noch kaum Informationen darüber gegeben.

Dazu, dass das heute ein gutes Stück anders ist, hat sie maßgeblich beigetragen.

 

 

  • Für Fans von: dem Klassiker: „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ von Oliver Sacks; Palina Rojinski und Ruth Moschner, Nano und Quarks, dem Hamburger Dom und der Frankfurter Dippemess’
  • Was neurotypische Menschen von ihr über ADHS lernen können: Naja,
    einfach alles.
  • Was (andere) ADHS-ler von ihr lernen können: Naja, auch alles. Sie hat es
    sich zur Aufgabe gemacht, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre „neurodivergenten Freunde“, wie sie sie nennt, Frieden mit sich schließen können, dass sie lernen, mit ihrem Gehirn statt dagegen zu arbeiten.
  • Hier gehts zu ihrem Instagram-Kanal:
    https://www.instagram.com/kirmesimkopf

 

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Disclaimer: Dieser Artikel ersetzt (ganz sicher) keine ärztliche Beratung und erhebt auch nicht diesen Anspruch. Wer mehr Informationen zum Thema ADHS im Erwachsenenalter sucht, wird beispielsweise hier fündig: https://www.adhs.info/fuer-erwachsene/therapie-und-andere-hilfen/

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