Andere Perspektiven einnehmen, in andere Köpfe, andere Leben schlüpfen. Dafür sorgt Juli Zeh mit ihren Büchern. Sagt zumindest die Journalistin Ulla Atzert, die sich für ein gemeinsames „hr2-Doppelkopf”-Gespräch mit der Bestsellerautorin („Unterleuten“) getroffen hat. Es sei „die große Kunst in Ihren Romanen”, sagt Atzert zu ihrem Gast, dass sie im Kopf des Lesers „alles an einen anderen Platz” stelle. Etwa in ihrem jüngsten Buch „Über Menschen”, in dem der Nazi plötzlich als nett empfunden werde.
Gegen das „Eingesperrtsein im Eigenen”
Juli Zeh gefällt das Bild. Von ihr als einer literarischen Innenarchitektin, eines „literarischen Umzugsunternehmens”, befasst mit der Aufgabe, „Köpfe neu zu möblieren”: „Das ist genau das, was mich am Schreiben und am Lesen fasziniert und warum ich das mache”, sagt sie in der Sendung. Und mehr noch: So ein Erkenntnisgewinn durch Perspektivveränderung, der hätte auch auf Leserseite etwas sehr Befreiendes. Was Menschen häufig bedrücke, sei doch das „Eingesperrtsein im Eigenen”, sagt sie. Das mache Menschen „klamm”, lasse Dinge für sie schwerer erscheinen, Probleme größer. Es könne deshalb unheimlich erleichternd sein, einfach mal in die Erlebniswelt von jemand anderem einzutauchen, um sich zu relativieren. „Das ist ein sehr befreiender Vorgang. Das tut gut“, sagt Zeh. Und von allen Künsten könne vor allem Literatur dies leisten.
Ob man nun durch den Perspektivwechsel auch gleich ein besserer Mensch werde, das könne die Autorin allerdings nicht versprechen. Das stehe, sagt sie, „nicht auf dem Beipackzettel”.
- Wer reinhören mag: Das wirklich schöne Gespräch zwischen Ulla Atzert und Juli Zeh aus dem Januar 2022 ist in der ARD-Audiothek abrufbar. Ein weiteres empfehlenswertes Gespräch mit Juli Zeh, in dem die gelernte Juristin auch über ihre Arbeit als ehrenamtliche Verfassungsrichterin spricht, findet sich hier.
- Der Roman „Über Menschen“, in dem sich tatsächlich ein Mann der Hauptfigur mit den Worten vorstellt: „Ich bin hier der Dorf-Nazi“ — und dann aber zu einer Sympathiefigur wird, ist 2021 im Luchterhand-Verlag erschienen.
- Juli Zeh ist derweil schon weitergezogen und hat sich selbst hinters Mikro geklemmt: Seit Februar 2022 moderiert sie einen eigenen Podcast, „Edle Federn“ heißt er, in dem sie einmal im Monat mit Autoren über deren Werke und das Schreiben spricht. Daniel Kehlmann war schon ihr Gast, ebenso Nele Neuhaus und Lisa Eckhart. Einen kleinen 16-Minuten-Vorgeschmack der kostenpflichtigen Sendereihe, die bei Media Pioneer erscheint, gibt es auf Apple Podcast als Free(und, klar: Lock-)ware.
// Werbung, da Verlinkung. Unbezahlt. //
Über diese Reihe
Unter der Rubrik „Was uns gut tut“ soll sich auf diesem Blog versammeln, was Menschen – ganz subjektiv und individuell – als wohltuend empfinden. Denn irgendwann war es mir aufgefallen: Wie häufig Menschen das doch sagen: „Ich tue dies — das tut mir gut“, „Ich mache seit Wochen jenes — das fängt mich auf. Erleichtert mich. Beglückt mich. Gibt mir einen Kick. Flow. Seligkeit.“ Solche Life-Hacks, Psycho-Hacks will ich aufgreifen und hier zusammentragen. Kleine, nützliche Heilmittel, Tools-to-turn-to, Instant-Instrumente zum Wiederzusichfinden. Das kann ein bestimmter Gedichtband sein, ein Lied, Trampolinspringen, ein Anruf bei der Mama, alte Loriot-Filme, you name it. Denn ehrlich: Happymaker können wir doch alle gebrauchen, oder?
Bisher in der Reihe erschienen: Golda Schultz und „Sull aria“
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