Das neue Jahr beginnt regnerisch und in Karben. Mona und ich sind auf dem Weg ins Frankfurter Umland, um das zu feiern, wozu sich heute weltweit Millionen von Menschen zusammenfinden: das alte Jahr zu verabschieden, ins neue hineinzugleiten, mit Freunden, mit der Familie, viel Essen – und das Ganze passend zum Frühlingsanfang.

„Nouruz“ heißt diese traditionelle alt-iranische Neujahrsfeier – und ich war sofort von der Idee entzückt: Das neue Jahr mit dem Frühling beginnen zu lassen, das hätte sich kein Eventmanager besser ausdenken können. Was sind wir doch für arme Wichte, uns am 31. Dezember die Gliedmaßen abzufrieren, wenn wir im schicken, knappen Silvester-Kleidchen zu einer Party düsen oder uns gegen Mitternacht nochmal nach draußen wagen, um das Feuerwerk zu beooohen und beaaaahen. Wie oft hab ich mir versprochen: nächstes Jahr feierst Du im Warmen. In Florida oder Thailand. Oder meinethalben in der Sauna.

Und dann dieses Umschalten: von Besinnlichkeit und Gänsebraten hin zu Neubeginn und Sektlaune, innerhalb von sieben Tagen. Manchmal reicht mir die Zeit nicht aus, bräuchte ich Wochen „zwischen den Jahren“, um in den Reboot-Modus zu kommen (und die Lebkuchenpfunde zu verlieren, um ins besagte Silvesterkleid zu passen, aber das nur am Rande).

Aber Ende März, jaaa. DAS ist mal die richtige Zeit, um neu anzufangen, oder nicht? Der Winter vorbei, der Frühling im Anschlag, die Tage endlich wieder mindestens so lang wie die Nächte, wir haben Lust auf Aufbruch, auf frische Taten, ja, sogar wieder aufs Fitnessstudio (hab ich mir sagen lassen…).

Nun also Neujahr in Karben. Hier wohnt die Mutter von Monas Freund, Bacco, der aus dem Iran stammt. Jedes Jahr um die Zeit versammelt die freundliche, kleine Frau ihre Kinder und deren Freunde um sich, tischt ordentlich Essen auf, bewirtet die jungen Leute aufs Herzlichste. Ich komme unangemeldet, Mona hat es nicht mehr geschafft, mich anzukündigen. Egal, Baccos Mutter, die mich noch nie gesehen hat, begrüßt mich, als wäre ich eine alte Freundin der Familie.

Und dann lerne ich: „Nouruz“ bedeutet „Neuer Tag“. Es ist Brauch, zur Feier einen Tisch, eine Art Neujahrsaltar herzurichten. Und hier stehen und liegen die ungewöhnlichsten, scheinbar zusammengewürfelten Dinge: Hyazinthen (nun gut, Frühlingsanfang), Münzen („Du mögest nie arm sein“, können wir uns ja auch noch herleiten), aber auch: ein Glas mit Essig (jetzt wirds doch schon arg schwierig mit dem Interpretieren), eine merkwürdige karamellbraune Masse und – ein.Glas.mit.zwei.Goldfischen (und nun bin ich am Ende mit meinem Hobby-Symbolik-Latein).

Während wir im Fernsehen Berichte von öffentlichen Neujahrsfeiern in Aserbaidschan, dem Balkan und im Iran verfolgen, zum Beispiel sehen, wie fröhliche Menschen singen und ums Feuer tanzen, erklärt mir Bacco die Dekorationstafel. Sie soll lauter Dinge zeigen, die in der Sprache der Perser, Farsi, mit dem Buchstaben S beginnen. Hochgezogenes Gras aus Kresse- oder sonstigen Samen zum Beispiel („Sabsi“ heißt auf Farsi so viel wie „Grünzeug“), Äpfel gehören dazu, sie symbolisieren Gesundheit („Sib“), die Hyazinthen („Sombol“) stehen für Freundschaft, der braune Pudding („Samanu“) wird aus Weizen hergestellt (ich darf ein Löffelchen probieren, schmeckt entfernt wie Haferbrei mit Krokant) und ist bildhaft für Segen.

Daneben soll ein auf dem Tisch drapiertes Buch Weisheit bringen, der Essig sorgt für Fröhlichkeit (ach genau: sauer macht lustig, oder wie war das?), und die Goldfische – frisch aus dem Tiergeschäft – für Glück. Bei der Sache mit den Goldfischen ist mir etwas mulmig, vor allem, als Bacco grinsend verkündet: „Die spülen wir nach dem Fest feierlich im Klo herunter.“

„Äh, doch nicht im Ernst?“, frage ich noch erschrocken. Aber da dreht sich Bacco schon um, denn in diesem Moment startet der Countdown: Punkt 12.01 ist diesmal der Jahreswechsel. Ganz recht, jedes Jahr um eine andere Uhrzeit, „schließlich verschiebt sich das doch rein kalendarisch immer um ein paar Minuten“, erklärt mir einer von Baccos Brüdern. Aha. Ich verfolge also mit den anderen die Uhrzeit auf dem Fernseher, sehe, wie die iranischen Zahlen langsam heruntergezählt werden, die letzten zehn Sekunden des alten Jahres. Drei, zwei, eins. „Sale no mobarak“, höre ich von allen Seiten, „frohes Neues Jahr“, man herzt sich, man freut sich, man stößt an. Sehr vertraut, dann doch.

Und jetzt gibt es Essen. Ach was, Essen. Ein Festmahl! Gebratene Doraden, herrlich exotisch gewürzter Reis, ein Eiersoufflé nach Art einer persischen Tortilla, und viel, viel Knobi. Es ist göttlich, ich will hier nicht mehr weg.

Als es dann doch kurz nach dem Dessert Zeit für den Abschied wird, muss ich aber endlich fragen: Was passiert denn nun mit den zwei Goldfischen, wenn die Feier vorbei ist? Sie werden doch nicht wirklich…? Ich meine, im Klo…? Wenn auch feierlich…? „Nein, nein“, lacht Baccos Mutter. „Die lasse ich nachher frei, im großen Teich der Nachbarin.“

So kann doch ein Jahr gut beginnen. In Freiheit.

Der Neujahrstisch: Gras, Äpfel, Eier, Hyazinthen, Narzissen, Essig. Und ja, zwei Goldfische.

Der Neujahrstisch: Gras, Äpfel, Eier, Hyazinthen, Narzissen, Essig, Süßigkeiten, Knoblauch, Gewürze. Ach ja, und in der Mitte: zwei Goldfische.

Nur, falls Ihr es nicht glaubt: GOLDFISCHE, wirklich!

Nur, falls Ihr es nicht glaubt: GOLDFISCHE, wirklich!

Das große Neujahrsessen - bevor die Meute sich draufstürzt...

Das große Neujahrsessen – kurz bevor die Meute sich draufstürzt…

...und danach.

…und danach.

...und am Ende der Feier schwimmt er immer noch fröhlich seine Runden: Goldfisch Nr. 1.

Und am Ende der Feier schwimmt er immer noch fröhlich seine Runden: Goldfisch Nr. 1.