„Ich hab in meinem ganzen Leben noch nie so viel Geld für eine Eintrittskarte ausgegeben“, verrät mir die Dame, die neben mir sitzt, eine nette Endfünfzigerin, schlichter kurzer Haarschnitt, helles Karohemd. Auch sie ist – wie ich – alleine hierher gekommen, in die Lanxess Arena, hatte sich überwunden, so viel Geld für ein Ticket auszugeben, wie sonst höchstens vielleicht für einen guten Wintermantel oder einen neuen Fernseher, hatte gebangt an einem Samstagmorgen vor drei Monaten, ob sie überhaupt noch eine Online-Karte ergattern würde – der Server machte irgendwann Probleme – und sich tierisch gefreut, als der Zuschlag kam. Der Zuschlag für eine Eintrittskarte für: Barbra.
Nun hocken wir beide hier, noch sind es zehn Minuten bis zur Show, und versichern uns gegenseitig, dass wir tolle Plätze erwischt hätten. Gut, etwas weit oben. Gut, etwas weit hinten. Hach, und die Leinwand könnte nun wirklich etwas größer… Aber okay. 560 Euro für ne Karte auszugeben, um nun da unten zu hocken…nee. Das dann nun wirklich nicht.
Ich versuche, mit meinem Fernglas Lokal-Promis zu erspähen. Denn immerhin: Wir sind hier in Köln. Bei einem der seltenen Konzerte der Streisand. Da wird doch wohl…Frauke Ludowig? Frank Schätzing? Hm… Alice Schwarzer doch vielleicht? Dort, in der ersten Reihe? Oder hey, wenigstens Frau Kraft? Aber nein. ich erkenne niemanden.
Egal. Der Star des Abends steht ja schließlich auf der Bühne. Und dass der auch in wenigen Sekunden kommt, davon künden das soeben ausgehende Licht, die vorfreudigen Aaaahs und Ohhhhs im Publikum, und, mehr noch: die ersten Töne des Orchesters. Gleich einer Opernaufführung fangen die 60 Musiker schon mal mit einer Ouvertüre an. Dazu flimmern Bilder über die Leinwand: Barbra als Baby, Barbra als Kind, die Häuser, in denen sie als Kind wohnte, ihr Weg auf die Bühne, Broadway, Film, der Aufstieg zum Megastar. Clever dramaturgisiert, Frau Streisand. Der Abend hat sowas von ’ner geballten Ladung Glamour, das zeichnet sich schon jetzt ab.
Und dann, unter Trommelwirbel und Streichersätzen, und im dramatischen Spotlight steht sie auf einmal mitten auf der Bühne: die Streisand – lebendig, frisch, strahlend. In einem schicken schwarzen Bluse-Weste-Jacke-langer-Rock-Ensemble mit transparenten Ornamenteinsätzen, die wir nur, aber wirklich nur ihr durchgehen lassen.
Es gehört zum guten Ton, beim Auftritt der Streisand zu applaudieren wie Bekloppte. Wir johlen, wir pfeifen, wir klatschen uns die Hände wund, wir stehen auf. Standing Ovations, noch bevor die Lady einen ersten Ton gesungen hat.
„Hallo Kooeelln“, ruft sie uns entgegen. Und: „Es is schooeen, hiier suu saain!“ Noch mehr Jubel. Und dann beginnt sie mit ihrer Musik.
„Ich werde jedes einzelne Lied mitsingen können!“, hab ich meinen Freunden vorher noch euphorisch prophezeit. „Von keinem anderen Künstler kenne ich so viele Songs wie von ihr!“ Hm. Stimmt so nicht, stelle ich fest. Ich bin etwas irritiert, aber tatsächlich: Es dauert eine Weile, bis der Wiedererkennungseffekt eintritt. Die Songs sind mir nicht gänzlich unbekannt („On a clear day“ zum Beispiel), aber sind eben nicht meine altbekannten Barbra-Songs. Ich fremdele ein bisschen. Wer ist denn das da unten?
Aber dann: „Life is a moment in space“, setzt sie an – und ich bin voll dabei. Das erkenne ich, das ist „Woman in love“, davon weiß ich jede Silbe! Nicht jedoch – Barbra. Sie stolpert über die Zeilen, lacht, bittet den Dirigenten um Hilfe beim Einsatz („give me a sign“), lacht wieder, macht irgendwie das Beste draus, sehr entspannt, gar nicht so sehr die arge Perfektionistin, als die sie oft dargestellt wird. Schließlich bittet sie diejenigen um Hilfe, die sie wohl am besten unterstützen können: uns. „Help me out! Sing along with me!“, lacht sie dem Publikum entgegen. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. 13.000 Menschen schmettern „Woman in Love“ in die Sphäre – Gänsehaut pur.
Sie macht aus dem Abend vor allem eine Show für sich. „Wenn ich schon zwei Stunden auf ner Bühne im alten Europa stehen muss, mache ich es mir doch nett“, wird sie sich gedacht haben, und hat schlankerhand nen Stuhl auf der Bühne platzieren lassen, dazu ein Tischchen mit Teekanne („Kamille“, wird kolportiert) und Blümelein (sie schnuppert sogar einmal dran, schließt die Augen, sagt „hm, so beautiful…“, okay, etwas effekthascherisch, aber hey, es ist Barbra) – und hat außerdem noch die eigene Familie eingeladen. Nee, nicht zum präsentablen Sitzen in der ersten Reihe. Sondern.auf.die.Bühne. Wenn schon, denn schon. Ihr Sohn, Josh Groban, hach, ach nein, Jason Gould, die Namen sind aber auch zum Verwechseln… (und sehen sie sich nicht auch etwas ähnlich? Und dann der gleiche Singstil? Na, ich mein ja nur…) singt ein Lied (und ja, echt gut, schöne Stimme), dann kommt auch noch Barbras neun Jahre jüngere Halbschwester Roslyn „Rozzie“ Kind auf die Bühne, die Barbra fast an die Wand singt. So eine kraftvolle, charismatische Stimme! Zum Heulen, dass immer nur wenige Weltstars werden, und andere ihr Leben lang über kleine Bühnen in Illionois (4. Okt.) und Texas (23. Okt.) tingeln. Und schließlich hat sich Barbra zur Unterstützung (und, wie ich ja eben vermute, auch zur eigenen Unterhaltung) den Trompeter Chris Botti engagiert sowie die Violinistin Lucia Micarelli. Gegen Ende baut sich sogar ein Kölner Chor auf (sehr beeindruckend, eine Menschenkette rund um die Bühne), um mit allen gemeinsam „Let the garden grow“ aus der Bernstein-Oper „Candide“ zu singen. Eine runde, glamouröse Musiknacht wird es durch all das, wenn eben auch keine Barbra-only-Show.
Aber dann kriege ich sie ja doch noch alle: die berühmten Barbra-Hits. „Evergreen“ (ich weine ein bisschen), „The way we were“ (ich schluchze), „People“ (ich bin total fertig). Barbra kann es eben immer noch: einen verzaubern. Okay, die hohen Töne kommen manchmal etwas blass, dafür rutscht ihr aber auch manchmal – versehentlich, wie ich denke – ein rauchiger Ton raus, der ihr, der alten Dame, einmal mehr Sex-Appeal verleiht. Und „People“, keine Ahnung wie sie das macht, singt sie besser und kräftiger und satter denn je.
[http://www.youtube.com/watch?v=zMAnJE3dyLM?rel=0&w=420&h=315]
(Knipsen und filmen war übrigens während der ganzen Show untersagt. Deshalb hier ein Dankeschön an adaky2004, der es dennoch riskiert und für uns den „People“-Moment festgehalten hat.)
Bei allem Pathos übrigens: Barbra schleimt nicht rum. Irgendwann, in einer stillen Sekunde, Barbra hat gerade ein Lied beendet, sitzt auf ihrem Höckerchen und nippt am Tee, ruft ein Mann aus dem Publikum: „I love you!“ Barbra muss reagieren, drüber hinweggehen is nicht. Aber statt zu heucheln und ein „I love you, too“ zurück zu dem Unbekannten (oder zum gesamten Publikum) zu säuseln, lächelt sie nur, greift sich mit der Hand ans Herz, sagt: „Oh, thats so sweet“. Souverän, souverän, und sehr bei sich. Finde ich gut. Man muss mit Liebesbekundungen ja nun wirklich nicht inflationär umgehen. Auch nicht als Megastar.
Und dass sie nicht nur eine tolle Sängerin, sondern auch eine Entertainerin mit Witz ist, beweist sie ebenfalls: In der kleinen Fragestunde „Ask Barbra“ nimmt sie sich per Kärtchen Fragen aus dem Publikum vor. „Waren Sie im Kölner Dom?“, will etwa eine wissen. Und: „Falls ja, sind Sie auch der Tradition gefolgt und die 560 (oder wieviel auch immer) Treppen hinaufgestiegen?“ Ja, sagt Barbra da, sie sei im Dom gewesen („in your wonderful church“, sagt sie, nicht etwa „cathedral“). „Aber das mit der Tradition, die Treppen hochzusteigen, hm….Wissen Sie, wir haben da in den USA auch eine ganz tolle Tradition. Die nennt sich Aufzug.“ Köln lacht.
Was bleibt von dem Abend?
Die beruhigende Erkenntnis, dass man auch mit 71 noch brilliant, charmant und bezaubernd sein (und 13.000 Menschen begeistern) kann.
Ein neues Lieblingslied: Happy days are here again – nie wirklich geschätzt, heute aufgesogen wie Hugo.
Ein Google-Auftrag: Wer ist diese Roslyn Kind, und wo gibts Platten von ihr?
Und schließlich das Fazit: Frauke Ludowig hat wirklich was verpasst.
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Beim konzertnachträglichen Googeln und Youtuben nach Barbra hab ich dann noch das hier gefunden: ihren grandiosen Fernsehauftritt als 22-Jährige. „Happy Days are here again“ singt sie hier mit soviel Ausdruck, mit Ernst und Komik zugleich, als so magischen Appell, dass man meint, sie müsste schon unheimlich viel Lebenserfahrung haben. Was sie da alles reinpackt, unglaublich. Und mal ehrlich, sieht sie nicht aus wie ’ne Mischung aus Amy Winehouse und Scarlett Johannson?
[http://www.youtube.com/watch?v=fS9FJwMoJaM?rel=0&w=420&h=315]
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