Wie können sich Paare nach Jahren ihrer Beziehung wieder annähern? Auf allen Ebenen? //
Ich sitze im Vortrag von Oskar Holzberg, Paartherapeut, und wundere mich. Wie weit es kommen kann. Wie sehr ein Mann und eine Frau, die einmal gesagt haben: wir mögen uns, wir lieben uns, wir bilden jetzt ein Paar, so auseinanderdriften können. Und was so alles dazu führen kann.
Ich wundere mich, dass, da wir doch alle Menschen sind, mithin denken können, fühlen können und vielleicht auch klug sind (zumindest die meisten unter der Sonne), es doch nicht schaffen, aus eigener Kraft, aus eigenem Verstand und Herzensgefühl diese Kraft zwischen uns und dem Partner wieder erstarken zu lassen.
Dass wir oft so alleine sind. Obwohl wir doch in einer Partnerschaft sind.
Meine Beziehung ist frisch. So frisch, dass ich mich ein bisschen wie ein Alien fühle hier. Wie ein Gesunder unter Kranken vielleicht, die es eben über die Jahre haben so weit kommen lassen – und nun nach einer Behandlung suchen. Wie ein Gesunder, der sich aber, frei von jeglichem Überlegenheitsgefühl, sagt: die Krankheit, sie kann kommen, sie kann uns alle erwischen, vielleicht schleicht sie sich schon an. Sei wachsam, halte dein Herz offen – und höre nun diesem Mann zu.
Oskar Holzberg ist psychologischer Psychiater, so wird er angekündigt, hat einige Ratgeber zum Thema Liebe geschrieben, schreibt als Paartherapeut auch für die Brigitte, die ich nun nicht lese, aber wird schon gut sein, der Mann, denke ich mir.
Er hat etwas sanft-selbstbewusstes, etwas Sozialkundelehrerhaftes vielleicht auch, angenehme Stimme, angenehm bedachtes, sehr unaufgeregtes Sprechen. Ich versuche mir vorzustellen, wie Menschen in seiner Praxis vor ihm Platz nehmen, ihm ihre Probleme schildern, er sich darauf einlässt, zuhört, spiegelt, hilft, auch Unschönes anspricht, Wahrheiten ausspricht. Und es gelingt mir.
Wie weit es also kommen kann.
Einen Kreis wirft Holzberg an die Wand. Ringe, wie die Lebensringe eines Baumes. Außen gelb, nach innen immer röter, immer intensiver, immer ernster?, werdend. Er wird sie nun füllen, diese Ringe, sie nach und nach und von außen nach innen beschriften, sich daran entlanghangeln mit seinen Erläuterungen – und wenn ich mir heute, da ich wieder zuhause bin, diesen Kreis mit seinen Beschriftungen nochmal ansehe, denke ich: Wie langweilig das doch aussieht, wie theoretisch. Alles schon mal gelesen, schon mal gehört. Schlagwörter, die mich kaum noch berühren, Begriffe wie, ja, aus einem Ratgeber.
Er aber, und das ist die große Überraschung und das Geschenk des Abends, füllt sie mit dem, was uns allen (jedem, an der einen oder anderen Stelle, da bin ich mir sicher) helfen kann.
Der Körper (Oder: Baby, zieh‘ die Socken aus!)
Holzberg fängt, ich fremdele ein bisschen, mit dem Körper an. Sagt, kurz zusammengefasst, es brauche auch nach Jahren noch Attraktivität, Zärtlichkeit, Erotik, Sexualität. Ich beargwöhne etwas diese Herangehensweise; geht es nicht zuallererst ums Innere, bitteschön, sollte es nicht, gerade nach Jahren der Beziehung, wurscht sein, ob die Haare gewaschen sind, die Socken im Bett anbehalten werden, ja, sollte die Liebe nicht über der ausgemergelten Jogginghose stehen? (Und ja, ich denke kurz an die gemütliche dunkelblaue Wurschtelhose, die ich mir, seit es so kalt geworden ist, überstülpe, sobald ich bei ihm bin, bei dem Mann, der’s wert ist. Es ist seine Hose, mittlerweile ein bisschen meine, auch wenn ich sie mir an den Kordeln in der Taille etwas enger zurre, und ich halte mir zugute, dass das Ganze doch ein wenig den sexy Ich-trage-seine-Sachen-Effekt hat, oder nicht? Oder nicht?!)
Der Reihe nach. Holzberg macht uns begreiflich, dass der Körper nun einmal der Ort ist, „in dem wir leben“ und über den wir unseren Partner berühren. Niemand anderen fassen wir so an wie die Menschen, die uns am nächsten sind: unsere Kinder, unseren Liebespartner. Das sollten wir uns zunutze machen: „Es gibt keinen so schnellen und direkten Zugang zueinander wie über die Berührung.“ Eine kurzes, zärtliches Anfassen einfach mal zwischendurch, ein Drücken des Arms, stellt eine Verbindung her, wie es Worte kaum können. „Berührung ist der Königsweg“, sagt Holzberg.
(Ich denke kurz an diesen Abend vor einigen Tagen, als ich – es war schon spät – spontan noch den Mann, der’s wert ist, besuchte und seine beste Freundin – Überraschung – schon vor mir da war. Wie sie auf dem Sessel saß, eingekuschelt, und die letzten Minuten des Films schaute, den er eigentlich für mich gekauft hatte. Denke an die aufkommende Eifersucht, mein leichtes Ärgergrummeln im Magen. Wie ich auf dem Sofa Platz nahm, den Blick auf den Fernseher, irgendwann die Augen schloss. Und dann erinnere ich mich daran, wie er sich plötzlich zu mir beugte, ich merkte es schon am leichten Luftzug, und mir diesen einen, kleinen, urstzärtlichen Kuss auf die Stirn gab. Dieser Kuss sagte: Ich bin bei dir, ich bin dein, wir sind verbunden. Egal, wer da neben uns sitzt, egal, was da über den Bildschirm flimmert.)
Berührung schafft auch Achtsamkeit, Dankbarkeit. Dafür empfiehlt Holzberg eine kleine Übung: „Nehmen Sie und Ihr Partner einander behutsam in die Arme. Nehmen Sie beide langsam drei Atemzüge. Denken Sie beim ersten Atemzug: „Schön, dass du da bist.“ Beim zweiten Atemzug: „Was wird in 300 Jahren mit uns sein?“ Und beim dritten Atemzug: „Wie kostbar ist dieser Moment, da wir beide da sind.““ Ein Raunen geht durchs Publikum. Und wenn der Partner nicht angefasst werden wolle?, fragt jemand. „Dann“, so Holzberg, „wissen Sie, es gibt etwas zu klären.“
Sexualität – ist das Ergebnis einer Entscheidung
Wichtig sei auch zu verstehen, dass wir Menschen erotische Wesen sind, „und auch für den Partner erotische Wesen bleiben“, dass wir das gegenseitige Begehren wach halten sollten. „Pflegen Sie Sinnlichkeit, achten Sie darauf, wie Sie sich kleiden, achten Sie auf Ihren Duft.“ Auch sollten wir uns nicht auf unser Lustverhalten vom Anfang der Beziehung verlassen, auf dieses Kribbeln, diese Anziehung, aus der fast von alleine Begehren entstand. „Nach Jahren einer Beziehung wird man nicht mehr von Lust ergriffen und hat dann zwangsläufig Sex“, so Holzberg. „Wir müssen uns für Sexualität entscheiden, von alleine passiert sie nicht mehr.“ Hilfreich seien hier kleine Zeichen oder Codes, auch ein aufmerksames Lesen des Partners. „Ein Klient erzählte mir einmal: Wenn meine Frau ins Bett kommt, ohne ihre Wollsocken anzuhaben, dann weiß ich schon, aha, gleich passiert hier was…“ Und wenn beide dann danach nebeneinander lägen, sagt Holzberg, erschöpft, aber glücklich, sage nicht selten der eine zum anderen: „Mannomann, mein Schatz, warum machen wir das eigentlich nicht öfter?“
Bindung (Oder: Ich sehe dich, höre dich, ich will dein Gutes)
Dann, und jetzt bin ich hellwach, geht es um Bindung, genauer: darum, den anderen zu erreichen. Bindung ist, so verstehe ich Holzberg, etwas Existenzielles. Das hätten auch neurologische Untersuchungen gezeigt: „Wenn wir uns isoliert fühlen, wenn wir den Partner nicht erreichen“, so der Psychiater, „gerät ein bestimmter Bereich unseres Gehirns in Panik.“ Erreichen wir den anderen aber, haben wir das Gefühl, er hört uns und versteht uns, dann erlangen wir ein Gefühl der Sicherheit und der Verbundenheit.
Doch wie entsteht Bindung, wie können wir sie verstärken oder wiederherstellen?
Holzberg startet wieder am Außenring, der Begriff „Wohlwollen“ flackert auf, kleinste Übung, könnte man meinen. Dem anderes nur Gutes wünschen, ist das nicht Teil unserer Menschlichkeit – und ein Arsch, wer anders fühlt? Aber ich denke an ein, zwei Paare, die ich gut kenne, die mir nah sind, und nicke, wie man nur nicken kann, wenn man plötzlich weiß, die eigene Welt ist gemeint. Bekomme Tränen in die Augen. Ja, mit Wohlwollen, mit dem innersten Gefühl „Ich will dein Gutes“ fängt alles an und hört alles auf. Es sind diese fiesen, spitzen, hinterrücksen Bemerkungen, die langsam, klein und leise, das Miteinander torpedieren. Wie Hämmerchen und Ambösschen pickeln sie Stück für Stück auf die Beziehung ein. Pick-pick-pick – bröckelt es. Pick-pick-pick – zerbröselt es, pick-pick-pick – bis zum Bruch.
Regiert aber das Wohlwollen (oh, und ist es nicht ein schönes, den Mundraum liebkosendes Wort? Einmal nachsagen bitte: woooohlwoooolllllen), also Milde, Weitherzigkeit, ein Hinwegsehen über Fehler oder Macken, bleiben Hämmerchen und Ambösschen im Werkzeugschrank. „70 Prozent aller Paarprobleme sind ohnehin nicht lösbar,“ sagt Holzberg an dieser Stelle, und wir im Publikum erschrecken alle etwas, „also in dem Sinne, dass man sie nicht hinwegfegen kann. Es ist aber möglich, dass man damit lebt, dass man gute Kompromisse findet, dass man eine Atmosphäre miteinander schafft, in der das geht.“ Und dabei hilft Wohlwollen.
(Lass uns nie unser Wohlwollen füreinander verlieren, sage ich im Geiste zum Mann, der’s wert ist. Nehme in Gedanken seine Hand. Und es kommt an, da bin ich mir ziemlich sicher.)
Und dass ich mir da so sicher bin, dafür sorgt die Resonanz (nächster Baumrindenlebensring). Ohne Wohlwollen keine Resonanz, kein Miteinanderschwingen, ohne Resonanz wiederum keine Verbindung zueinander. Und wie dann noch Nähe entstehen soll, ist fraglich. „Bindung herstellen geht über Interesse am anderen“, sagt Holzberg. Ihn zum Beispiel zu fragen, was ihn derzeit am meisten beschäftige. Dabei gelte aber auch: „Deine Liebe ist nicht meine Liebe.“ Ein wichtiger Satz, der aussagt, dass das, was ich in einer Beziehung brauche, wie ich meine Liebe zeige, nicht unbedingt das sein muss, was meinen Partner erreicht oder wie er Liebe leben will.
Seine Frau zum Beispiel, erzählt Holzberg, zeige ihre Liebe über Kochen. Gibt es einen Konflikt, der ausgetragen, vielleicht ausdiskutiert gehört, geht sie in die Küche und fängt an zu schnippeln und in Töpfen zu rühren. Holzberg war anfangs genervt von diesem Verhalten, fragte sich, warum sie nicht lieber beisammen sitzen und über das Problem sprechen, vielleicht auch ein Spaziergang machen. Bis ihm bewusst wurde: Nein, so macht sie das, so machte das schon ihre Familie: Liebe zeigen über (ich möchte hoffen: gutes) Essen. Also auch hier: den anderen lesen, den anderen in seiner Welt, mit seinen Codes und Bedürfnissen wahrnehmen. Und so die Nähebeziehung pflegen.
Emotion (Oder: Komm, wir schaffen eine Blase)
(Ich denke an den Moment in unserer Beziehung, als er mir zum ersten Mal mit seinem Verhalten einen Stich versetzte. Wir saßen mit einem befreundeten Pärchen zusammen, er erzählte von unserer letzten Ausgehnacht. Von diesem anderen Mädchen, das zu unserer Gruppe gestoßen war, eine beschwingte, leicht verrückte Nudel, die aber keiner der anderen so recht leiden konnte. Nur ich habe mich mit ihr verschwestert. Habe versucht, sie einzubinden. Nicht aus Mitgefühl, sondern weil ich sie nett fand. Das heißt, so würde ich es erzählen, er erzählte hingegen davon, wie ich ihr voller Verve sagte, sie erinnerte mich an diese hübsche Schauspielerin, diese tolle da, aus Hollywood… Ja, stimmt, das hatte ich zu ihr gesagt, aber wahrlich nicht mit dieser Stimme, wahrlich nicht mit diesem Überschwang, wie er mich nun nachmachte. Überhaupt: nachmachte.
Loyalität. Hier fehlte sie. Stattdessen: ein Zucken in meiner Brust, ein kleiner Schmerz, eine Befürchtung: Ist dies hier ein Vorbote? Wer den anderen so nachmacht, piesackt der bald öfter, böser, aggressiver, droht hier bald größerer Verrat? Es sollte ein Einzelfall bleiben, vielleicht hat er auch mein innerliches Zucken gespürt. Wir haben nie darüber gesprochen, ich nahm mir aber vor, wachsam zu bleiben.)
Loyalität ist laut Holzbergs Lebensringen die dritte Stufe unter den Emotionen. Zunächst gehe es um Priorisierung, darum vor allem, Gefühle ernst zu nehmen, sowohl die eigenen als auch die des anderen. Der nächste Kreis zeigt die Zuwendung, positive Anerkennung („nach einer negativen Bemerkung braucht es fünf positive, um die erste auszugleichen“), darüber komme man zur Loyalität – die Schutzblase, die eine Paarbeziehung ja auch immer ausmacht, dann zur Intimität, Vertrautheit, der Bereitschaft, den anderen zu verstehen mit all seinen Ängsten, all seinen Kümmernissen, und sich selbst dem anderen „auch in aller Verletzlichkeit zeigen zu können, ja, zumuten zu können“.
Differenzierung (Oder: Ein bisschen Abstand, bitte)
Doch wo, bei all dem, bleibe ich?, könnte sich manch einer fragen, der all dem zugehört hatte. Immer nur Verständnis zeigen, nett und lieb zu sein, Hand hinhalten, loyal sein, auf den anderen zugehen, ihn verstehen – was ist mit meiner Person, meiner Persönlichkeit? „Erfolgreiche Ehen basieren darauf, dass wir dem anderen sein Anderssein verzeihen“, sagt Holzberg, und man solle an ein Konstrukt aus zwei Säulen mit Dach denken: Stehen die zwei Säulen zu weit auseinander, stürzt das Gebilde ein – stehen sie zu nah, passiert das Gleiche, das Dach findet keinen Halt. Es braucht also eine Art optimale Distanz. Nicht anders ist es in einer Beziehung – es braucht eine Differenzierung. Denn natürlich sind wir alle, auch in einer Beziehung, autarke Wesen, eigenständig. Bei allem „sich einlassen“ auf die Beziehung, ist es wichtig, immer die Kommunikation und die Konfliktfähigkeit aufrecht zu halten. Bei aller Nähe sollten wir eine Konfliktkultur leben, in der wir „unser Anderssein zeigen dürfen“.
Viel zu bedenken, viel nachzufühlen, überlege ich, als ich meine Sachen zusammenpacke. „Es gibt übrigens nichts, was uns so sehr belastet wie eine schlechte Beziehung“, ruft Holzberg uns noch hinterher, und ich schlucke kurz, „aber es gibt auch nichts, was uns so glücklich macht wie eine gute Beziehung.“ Und ich lächle.
Lasst uns also daran arbeiten. Lasst uns Bindung herstellen, Autonomie erhalten, Emotionen leben, lasst uns einander berühren.
Die blaue Wurschtelhose, entscheide ich, noch bevor ich die Saaltür nach draußen aufstoße, bleibt jetzt für’s Erste mal im Schrank.
Oskar Holzberg hielt seinen Vortrag (Titel: „Matters of the Heart – the heart of the matter“) im Rahmen der Frankfurter Paartage im Haus am Dom
Mehr zu Oskar Holzberg hier: oskar-holzberg.de
Mehr zu den Paartagen hier: https://www.frankfurter-paar-tage.de
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