Zu meinen Lieblingsbeschäftigungen in Corona-Zeiten – beeep, dieses Kofferwort, das blödeste dieser Tage, wollte ich doch nicht mehr benutzen… –, also besser: in dieser so plötzlich und immer noch so ungewohnt ruhig gewordenen Phase gehört es, in die Badewanne zu gehen und den Podcast von Charlotte Roche zu hören. „Paardiologie“ heißt er und ist längst nicht mehr der neueste heiße Scheiß, sondern tatsächlich schon fast ein Jahr alt. I am always late to the party, greife Trends erst spät auf, wenn überhaupt. („Breaking Bad“ habe ich erst letzte Woche zu Ende gesehen. Wird deutlich, oder?)
Das Schöne: Ich fange also Paardiologie an und weiß, es gibt noch wunderbare ix-und-vierzig Folgen. Kann, ohne die wöchentliche Fortsetzung abwarten zu müssen, immer weiter hören, Folge um Folge, wenn ich mal über Stunden nicht genug bekommen kann von Charlotte und Martin und ihren wunderbaren Gesprächen. Das ist nämlich das Konzept: Die Autorin (und Ex-Viva-Moderatorin, das kann man ruhig heute nochmal dazuschreiben) und ihr Mann setzen sich für eine Stunde in ihren Dachstuhl, schmeißen ein Aufnahmegerät samt Kopfhörer und Mikrofonen an und sprechen über – ihre Beziehung. Bemerkenswert unverblümt, manchmal direkt shocking offen, oft witzig, immer sehr berührend. Dass ich nach der ersten Folge, einem Test-Anhören, dabei geblieben bin, liegt nicht so sehr an Charlotte, sondern auch und vor allem an – Martin, dem ruhigen, sanft-sprechenden Mann, der seit siebzehn (oder so) Jahren mit Charlotte zusammen ist.
Oder sagen wir besser: Es liegt an Charlotte-Martin, dem Paar also. Und der Weise, wie sie miteinander reden, in dieser einen, feinen Stunde. Wie der eine dem anderen zuhört, Gesagtes aufgreift, versucht zu verstehen, die Körpersprache des anderen liest, nachhakt – oder es auch sein lässt, wenn klar ist, dass nachhaken nicht gut tut oder nichts bringt. Die beiden legen ein Gespür füreinander an den Tag, das tief imponiert.
Und das ist auch die Sensation. Nicht also, dass hier Charlotte Roche, die mit sogenannten Skandalbüchern wie Feuchtgebiete und Schoßgebete die Bestsellerlisten angeführt hat, dass also eine derart im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankerte (vermutlich einfach auch derart inszenierte) Frau nun einen Beziehungspodcast mit-ihrem-eigenen-Mann!, also: suuuperauthentisch!, veröffentlicht. Schlüpfriges ausplaudert, huch, unter die Bettdecke schauen lässt, kicher-kicher.
Nein (wenngleich sie das alles tut). Die Sensation ist vielmehr, dass es funktioniert. Und ich, die ich aus niedersten (wenn auch medienanalytischen…, naja, also doch, ich bleibe dabei: niedersten) Beweggründen eingestiegen bin, eigentlich nur mal kurz dabei zuhören wollte, wie ein Mann sich erwartbar windet, schämt, fürchtet und stammelt, weil er von seiner mediendurchtriebenen Ehefrau dazu überredet wurde, an einem selbstentblößenden Format teilzunehmen, ich also, die ich arrogant gucken wollte, was bitteschön doch nur Peinliches bei einer solchen Idee herauskommen kann, ich also – falle zurück in mein Badewasser, beeindruckt. Von dem Respekt der beiden füreinander, der Eloquenz, dem Scharfsinn, dem Witz, der – ganz sicher auch über die Jahre in Therapie trainierten und gestählten – Fähigkeit zu reflektieren. Hier reden zwei, die sich lieben. Und die sich das (und mir da in der Badewanne) mit jedem Satz (in dem auch mal beherzt und saftig ein „fuck you“ fällt) zeigen.
Und dann ist da der Moment – irgendwie sind die beiden auf das Thema Eifersucht gekommen, die eher Charlotte quält als Martin –, in dem es um einen anderen Mann geht. Einen Typen, mit dem Charlotte mal, ohne jegliche Absichten, auf einem Fest rumgescherzt und geflirtet haben soll, so erinnert sich jedenfalls Martin daran. Ein Prominenter soll das gewesen sein. Und ich werde noch hellhöriger (hellerhörig? Grellhörig?) – und beginne zu raten. Zu lauschen auf Hinweise. Aha, aha. Aaaja. Die Folge ist aus, der Tag ist um, ich bin längst aus der Badewanne raus, und immer noch hängt mir diese Geschichte nach. Wer ist dieser Mann, den Charlotte eigentlich, wie sie sagt, gar nicht so recht leiden kann, der sie abklatscht auf der Veranstaltung (High-five, Bestsellerautorin, high-five, selber!), der auf diese Weise cool sein muss, die schon wieder uncool ist? Ich denke nochmal über die Geschichte nach, addiere die Hinweise, die gezögert und codiert vorgetragenen Beschreibungen des Mannes, auch seiner beruflichen Tätigkeiten, hach, macht das Spaß, man hat ja nicht viel Unterhaltung heute, in diesen Coro-, ups, diesen ruhigen Kino-Theater-Tratschabend-freien Zeiten, google also durch die Bestsellerlisten der damaligen Zeit, wer war damals und ist heute auch….und lebt anscheinend in… Schmeiße Hape Kerkeling raus, gehe auch Tommy Jaud nicht weiter nach, verwerfe auch – beherzt – Uwe Tellkamp. Aber dann: aaah! Aaah! Und letzter Lackmustest: cool-uncool? Auf diese Wallehaare-Lederjacke-Art? Ja! Aber ja, bestanden! Der MUSS es sein, haha. Jaaa, das passt.
Ich hatte also nun doch meinen Gala-Bunte-yellow-press-Moment, meinen sensationsgierigen-den-niederen-Beweggründen-folgenden-Augenblick. „Fuck you“, sage ich zu mir selbst und meiner Moral.
Mit ganz viel Liebe, natürlich.
Infos:
Der Podcast „Paardiologie“ ist kostenlos zu hören auf Spotify. Ich rate dazu. https://open.spotify.com/show/5gPesw6C0rJwuzNiSeGrol
Auch ist zuletzt ein Buch erschienen, wie ich beim Googeln nach passenden Pressebildern herausfand, das auf dem Podcast beruht. Kenne ich noch nicht, baue die Info dennoch hier ein, schon allein, weil ich das Cover zur Illustration nutze (siehe oben). Rate trotzdem zum Podcast (Stimmen, Atemgeräusche, Lachen, Flugzeuge im Hintergrund, das volle Feeling.)
„Paardiologie“ zum Lesen also (die Daten zum Überreichen an Euren lokalen Buchhändler, wenn Ihr das Buch bei ihm bestellt, wink-wink): Piper Verlag, München 2020, ISBN 9783492070300, kartoniert, 304 Seiten, 18,00 Euro
Werbung unbeauftragt.
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