THEATERABEND IM COMOEDIA MUNDI // Das Ausrufezeichen spricht, ach was, ruft mir aus dem Herzen. „Theater!“ prangt es über dem schönen, blauen Zelt, einem Textilbau, der wie aus der Zeit gefallen wirkt. Und wie aus der Zeit gefallen auch das, so scheint mir, was wir hier gleich vorhaben: Tickets aus den Taschen ziehen, langsam in einer kleinen Menge an Leuten eintreten, einen Platz suchen, auf eine Bühne schauen und erste Gedanken zum Bühnenbild formen (so viele Schnüre, die hinabhängen, wie viele eigentlich, haben die eine Funktion oder sind sie reine Dekoration?), beobachten, wie die Lichter ausgehen, es ruhiger wird, das Spiel beginnt.
Ein Abend wie aus einer anderen Zeit. Aus einer Zeit, als so vieles noch selbstverständlich war, was bislang – erst einmal – eine lange Weile untersagt blieb, und nun – immerhin – erlaubt ist, aber unter solch strengen Auflagen, dass mühsam kluge Strategien ausgetüftelt werden müssen.
„Theater!“, mit Ausrufezeichen, das dachte ich oft in den zurückliegenden Wochen. Nicht sofort nach der Verkündung des Lockdowns, das nicht, denn vorerst mochte ich, irritierenderweise, dass plötzlich alles zum Stillstand kam. Diese Ruhe, einmal nicht auswählen zu können und zu müssen, wo es mich abends hintreibt, nicht die Argumentationskraft aufbringen müssen für die Entscheidung: „Heute bleibe ich zuhause. Und morgen auch.“ Es ging nicht anders, also ging es nicht anders. Und ich ging – nirgendwohin.
Und dann, nach einiger Zeit, wenigen Wochen nur, das erste Ziehen im Herz, im Geist. Theater. Theaaaater!! Spielt mir vor! Ich will wieder Geschichten sehen! Ich will Figuren erleben! Nachempfinden! Dinge hineindenken, mich wieder(neu)erkennen oder auch nicht, will endlich wieder in einem Publikum sitzen und nicht nur Hamlet im Stream (wenngleich das grandios war, mit Sandra Hüller als Titelfigur, mon dieu, was ein Ritt, noch bis 30.7.2020 in der ZDF-Mediathek abrufbar) über meinen Purzel-TV oder ’nen Film durch die Autofensterscheibe glotzen.
I want it in real!
Das Comoedia Mundi schließlich erhört mich. Seit Jahren tourt die in Bayern heimische Theatergruppe sommers durch die Landen, schlägt dabei ihr blaues Zelt immer auch am Frankfurter Museumsufer auf, zeigt Theaterstücke, bringt Chansonabende, bietet Musikern eine Bühne und auch Kindern ein eigenes Programm.
Auch für dieses Jahr hat das Ensemble um Theatermacher Fabian Schwarz einen Antrag bei der Stadt gestellt, wieder am Ufer spielen zu dürfen, im Dezember schon. Doch die Corona-Pandemie bringt die Planungen ordentlich ins Wanken. In den Wochen des Lockdowns harrt die Truppe in Isolation an ihrem Stammort, dem Schloss Trautskirchen, aus und kommt so, schreiben sie, „gesund durch diese Wirren“. Schließlich, Anfang Juni, endlich die Benachrichtigung aus Frankfurt: Ihr Antrag wurde genehmigt. Ihnen bleiben drei Wochen, um die aktuelle Produktion zu organisieren, „eine gewaltige Herausforderung“.
Tief beglückend
Nur 26 Leute lassen sie heute ins Zelttheater-Innere, wo eigentlich 170 Leute Platz finden könnten, die Adressen und Telefonnummern werden aufgenommen („und nach vier Wochen vernichtet!“, versichern sie), Sitzplätze durch Markierungen in ordentlichem Abstand voneinander eingeteilt. Und dann geht es los. Fast ist mir gleich, was gespielt wird (Mary Shelley, Frankenstein), so beglückt bin ich, und deshalb wird dieser Text hier auch alles, nur keine Rezension. Egal ist freilich nicht, dass das Ensemble wunderbar agiert, mit Herzblut; dass Ton und Musikeinspielungen sitzen, Licht und Bühnenbild (die Schnüre!) überraschen und einnehmen. Auch das Triggerspiel, worauf ich mich bei jedem Theaterbesuch gern einlasse, klappt: dass einzelne Sätze, Momente bei mir auf Resonanz treffen, einen Nerv ankitzeln; neuen Sinn schaffen. Ich Gesagtes oder Gesehenes gedanklich weiterspinne, etwas für mich mitnehme.
…dass ihr das macht, dass ihr all das tut!
Und so empfinde ich hier, in diesem blauen Theaterzelt der Comoedia Mundi, an diesem warmen Sommerabend, eine große Dankbarkeit, fast ehrfürchtige Rührung – wie immer, wenn ich so nah an einer Bühne sitze, Menschen zusehe und -höre, die mir eine Geschichte erzählen: Dass ihr das macht! Dass ihr diesen Text lernt. Vielleicht auch Melodien probt. An Szenen feilt, an Auftritten und Abtritten, an dem richtigen Timing. Energien auslotet, Figuren ausleuchtet, Euer Inneres abfragt, um Äußeres zu zeigen. Dass ihr all das tut. Und auch das Lampenfieber aushaltet, den Aufregungspush nach der Vorstellung verkraftet und irgendwohin packt, ich will gar nicht wissen, wohin. Jeden Abend wieder. Auch für uns 26 Menschen, jeden einzelnen in seinem unsichtbaren 150-Zentimeter-Corona-Abwehr-Kokon.
Was für ein brennend-heißer Luxus, was für ein Geschenk.
Nein, dies ist, hups, nun wirklich keine Rezension, dies ist eine Danksagung. Und eine Empfehlung. Geht wieder ins Theater, taucht ein in Geschichten, lasst Euch bezirzen und bekitzeln.
Und das sage ich, natürlich, mit Ausrufezeichen.
Weitere Infos:
Comoedia Mundi hat noch viel vor: Am Dienstag, 14. Juli, spielt etwa der Bluessänger und -Pianist Chris B im Zelt, am 25. und 26. Juli (Sa/So) wird Bewegungstheater aufgeführt; Kindertheater gibt’s am 12., 18. und 19. Juli sowie am 2. August. Und ja, auch Frankenstein steht noch ein paar Mal auf dem Programm. Alle Termine hier.
Und: Außerdem spielt auch „Die Dramatische Bühne“ wieder auf, ebenfalls unter allen geforderten Auflagen, aber wie gewohnt – und es sich im Sommer gehört – im wunderschönen Grüneburgpark. Zum Programm: https://www.diedramatischebuehne.de
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