Eine interdisziplinäre Ausstellung in der Mathildenhöhe nähert sich den inneren Zusammenhängen zwischen Kunst und Musik

2012-08-28 16.59.12Wenn Menschen überwältigt sind von einem Phänomen, von etwas also, das vor allem an ihre Gefühle appelliert und an ihre Nervenzellen andockt, gemeinhin also nicht aufs Leichteste vom Verstand gefasst werden kann, entwickeln sie gern Methoden. Herangehensweisen. Oder auch, beliebtes neues Modewort: Strategien.

Dass Strategien auch beim Erleben oder Erschaffen von Musik und Kunst nützlich sein können, dachten sich augenscheinlich die Macher der Darmstädter Mathildenhöhe: Ihre interdisziplinäre Ausstellung „A house full of music“, in der noch bis 9. September Kunstwerke, Partituren (sind die nicht auch irgendwie Kunstwerke?) und Installationen gezeigt und – über Kopfhörer – Musikstücke und Mitschnitte eingespielt werden, gliedert sich in zwölf Wege – „Strategien“ –, mithilfe derer, so die Aussage, Musik und Kunst ausgelotet werden können.

Im Prinzip sind die vorgestellten zwölf Strategien nicht viel mehr als verschiedene Tätigkeiten: Denken, Fühlen, Glauben, Möblieren, Rechnen, Wiederholen, Zerstören, Speichern, Collagieren, Spielen, Schweigen, Würfeln. Würfeln? Hm. Dass Zerstörung in Musik eine große Rolle spielt, klar. Ich denke an zerschlagene Gitarren, auseinandergenommene Klaviertastaturen, zerrissene Partituren. An leidenschaftliche Auseinandersetzung, Verzweiflung im künstlerischen Schaffensakt. All das erschließt sich mir in einer Sekunde. Ich erinnere mich an das großartige EMP – Experience Music Project in Seattle, dessen Gebäude eine zerbrochene Gitarre nachahmt und dessen Innerstes auf seine Weise ein „House of Music“ darstellt. Dass Kunst und Musik ferner über Collagen entstehen (hallo Youtube-Samples), über Rechnereien und Wiederholungen (Bach, sein Wohltemperiertes Klavier, die mathematische Logik und Stringenz der Fugen und Präludien) – ja, all das führt unmittelbar zu Assoziationen. Die Ansätze Denken, Fühlen, Glauben sowieso. Nur über das mit dem Würfeln stolpere ich erst mal.

Sich Musik über Kunst nähern

Die Ausstellung „A House of Music“ zeigt Elemente aus Musik und Kunst – insbesondere aus dem 20. Jahrhundert – jeweils unter den einzelnen Leitmotiven. Hier wird vor allem immer wieder deutlich, wie stark beide Felder miteinander verwoben sind. Auf den Punkt gebracht hat das John Cage, dem die Ausstellung anlässlich seines 100. Geburtstags gewidmet ist, und der die Grenzen der Musik und ihre Verknüpfungen mit anderen Kunstarten wie kein Zweiter ausgekundschaftet hat. Er soll einmal gesagt haben: „One way to write music: study Duchamp.“ Ein möglicher Weg also, Musik zu komponieren, führe seiner Meinung nach darüber, sich mit den Werken Marcel Duchamps, dem französischen Maler und Objektkünstler, auseinanderzusetzen.

Schneller Ritt

Ich rausche gezwungenermaßen durch die Ausstellung hindurch. Zwei bis drei Stunden braucht man für den Parcours, sagte mir die nette Dame am Empfang, Zeit, die ich nicht habe – in einer Stunde, um 18 Uhr, schließt das Ausstellungsgebäude. Wie das Berufstätige schaffen sollen, frage ich unterwegs, etwas außer Puste, einen der Ausstellungswärter, unter der Woche eine solche umfassende Ausstellung zu besuchen, zumal, wenn sie noch eine längere Anfahrt, Berufsverkehr einkalkulieren müssen. „Für diese Leute haben wir donnerstags extra bis 21 Uhr geöffnet“, sagt er. Nur ein kleiner Trost.

Nicht ärgern, denke ich, lieber genießen und eintauchen – und das erlaubt die Ausstellung allemal, selbst in so kurzer Zeit. Jeder Strategie (könnte man das Wort nicht ersetzen? Es klingt so nach intellektuellem Business-Brecheisen, nach Kunst meets Geschäftsbereichsoptimierung, nach Kultur trifft auf Projektmanagementerläuterungsprogramm… Wie wäre es mit …Annäherungspfad? Oder Betrachtungsbrille?) wird ein Raum, zumindest aber eine Ecke gewidmet.

Yoko und ihre Stimmbänder

Mein Lieblingsaspekt: Fühlen. Musik berührt die Menschen, heißt es im Katalog zur Ausstellung, nicht nur im Ohr und im Gehirn (und im Herzen, füge ich leise hinzu), sondern auch am ganzen Körper. Musiker und Künstler seien im 20. Jahrhundert erstmals auf diese bis dato zu wenig beachtete Wirkung eingegangen. Der Musikknochen des Ellenbogens wird zum Beispiel im Kunstobjekt von Laurie Anderson, dem „Handphone Table“, zum Tonabnehmer. Und auch auf der sogenannten Musikliege nimmt der Besucher Klänge über seine Knochen deutlich wahr.

Musikliege

Der Handphone-Table

 

Und auch an Yoko Ono wird erinnert, die mit ihrem, hm, Stück „Voice Piece for Soprano“ von 1961 zeigt, wie sich stark strapazierte Stimmbänder anhören.

(Wie sich das übrigens live anhört, anfühlt und auch optisch darstellt, konnten Besucher des Museums of Modern Art in New York vor einiger Zeit erleben:)

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=7GMHl7bmlzw?rel=0&w=560&h=315]

 

Spielen und Zufall als Methode

Im Themenfenster „Spielen“ dann schließlich ein Wiedersehen mit John Cage und seinem berühmten und gleichwohl amüsanten „Water Walk“ – in seiner TV-Performance von 1960.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=SSulycqZH-U?rel=0&w=420&h=315]

 

Und der Aspekt Würfeln schließlich? Darunter lässt sich wohl am besten der Zufallseffekt verstehen, der jedem Schaffensprozess zugrunde liegt. Schon Mozart soll „Musik gewürfelt“ haben, wie ich in der Ausstellung lerne. Doch erst gegen 1900 begann man, konkret auch einzelne Noten per Würfel zu ermitteln. John Cage sagte dazu: „Zufall ist nichts, was uns zufällt. Ich benutze den Zufall als Spielregel.“

Mehr Informationen zur Ausstellung gibt es hier.

 

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