Was musste mich meine Mutter letztes Jahr noch hierherschleifen, mich lotsen und locken: „Komm, das wird sicher nett”, flötete sie, weil ich so gar nicht wollte. „Der schöne Schlosspark, Natur, und auch ein bisschen Garteninfos. Du magst doch Garten?”
Ja, sicher, ich „mag Garten”. Aber doch nicht so, dachte ich. So abgehoben, elitär, so aristokratisch Hutmode-auf-dem-Kopf- und 400-Euro-Gummistiefel-mäßig. Das Thema dann auch noch: „Bonjour La France”, inklusive französischer Garten- und Parkkultur. Ach herrje.
Kurzer Flashback 2022
Aber, aber, ah oui, ah oui, was soll ich sagen: Es war ein rauschendes Fest, damals, vor einem Jahr, auf diesem „Fürstlichen Gartenfest” auf Schloss Wolfsgarten in Langen bei Frankfurt. Was hatten wir für eine Freude, meine Mutter und ich. Sind wirklich, und das Wort passte nie so sehr wie hier: scharwenzelt. Promeniert. Haben uns Blumen angeschaut, Tomatensorten bestaunt, lecker gegessen, Musik gehört, den Schlosspark genossen, Blumenzwiebeln eingekauft, in so großer Menge, dass wir sie anschließend kaum den Waldweg zurück zur Straße schleppen konnten. Hier kamen Garten und Kultur, Kaufrausch und Genussfreude (dieses alte abgegriffene Wort — und dann aber wieder: so passend!) zusammen.
Den nächsten Termin, ein Wochenende im September 2023, hatte ich mir kurz darauf dick im Kalender markiert, mit Ausrufezeichen; seither alle anderen Verabredungsmöglichkeiten für diesen Tag abgelehnt, freundlich-bestimmt, höflich-robust: Nein, der Tag ist dem Fürstlichen Gartenfest vorbehalten, und meiner Mutter, natürlich. Ich war Fan (vom Fest. Aber auch von meiner Mutter, na klar). Und ein Fan weiß, Prioritäten zu setzen (und eine Tochter auch, sicher).
Austausch über Gartenthemen ist Trend
Zumal dieses Jahr auch das Motto so viel verspricht: „Die große Gartenschule”. Intelligenter Austausch also statt Chi-Chi, handfeste Informationen statt Savoir-vivre-Dekadenz. Damit treffen die Organisatoren den Zeitgeist, finde ich. Ich denke an Uta Grünwald oder Horst Mager, leidenschaftliche Gärtner, die auf Instagram und in TV-Regionalsendungen — die eine im WDR, der andere im RBB — über ihre Passion berichten und Tipps geben, letzterer sogar jetzt in der Königlichen Gartenakademie in Berlin Kurse hält; ich denke an Birgit Schattling und Ursula Atzwanger, die online sehr gut angenommene, höchst willkommene Balkon– bzw. Gartenkongresse abhalten, und ich denke auch an Katrin Iskam, die Krankenschwester, die auf ihrem herzerfrischenden Garten-Instagramkanal (Lieblingsspruch: „Macht’s einfach, ohne Geschiss“) und jetzt sogar als Buchautorin Erfolge feiert. Tipps und Tricks aus dem Wunderfeld Garten sind in, beliebt und (das sage ich aus eigener Erfahrung) so nützlich!
Ganze Region vertreten
Mit uns kommen sie alle in Scharen zum Schloss Wolfsgarten. Mit Shuttlebussen werden sie herangekarrt. Diejenigen, die sich mit dem Auto hertrauen (Parkplätze sind rar, die Polizei steht Wache, auf der Landstraße darf der Wagen partout nicht abgestellt werden), verraten per Kfz-Zeichen ihre Herkunft: Main-Taunus-Kreis, Bad Homburg, Darmstadt, Dieburg, und, natürlich, aus der großen nahen Stadt, aus Frankfurt. Ich erkenne später meine Frankfurter Hautärztin unter den Gästen, meine Frankfurter Lieblingsbuchhändlerin, und auch die Leiterin des FAZ-Feuilletons ist im Publikum. Sie allerdings als geladene Referentin.
Böse -> böser -> Baum
Jawohl, Garten meets Literatur, das haben sich die Veranstalter dieses Jahr auf die Fahne geschrieben und eine Lese- und Kulturbühne errichtet. Die Buchmesse wirft ihre Schatten voraus. Sandra Kegel, erwähnte Feuilletonchefin, interviewt auf dieser Bühne jeden Tag des Gartenfests einen Autoren zum Thema Natur und Garten, heute: Markus Bennemann. Der Wiesbadener hat, wenn man so will, das Antagonisten-Buch zu Peter Wohllebens Bäumebibeln geschrieben: Propagiert dieser noch die Kraft und das Gute der Bäume, hält Bennemann dagegen: Bäume können böse sein, sehr böse.
Da wäre zum Beispiel die Würgefeige, die das Übel ja schon im Namen trägt. Sie lebt in den Tropen, schlingt ihre Luftwurzeln um andere Bäume, erwürgt sie über die Jahre, Stück für Stück, höhlt sie aus, ernährt sich von ihnen, nimmt ihren Platz ein. Ja, pfui, Feige!
Und dann erst die Buche, der brachiale Bengel, der „Arnold Schwarzenegger unter den Bäumen“, wie Sandra Kegel sagt. „Vor allem auch der furchtbarste Streber“, ergänzt Bennemann. Buchen bräuchten sehr wenig Licht, könnten deshalb den anderen Bäumen schnell über den Kopf wachsen. Oben angekommen bilden sie ein so dichtes Blätterdach, dass andere Bäume im darunter entstehenden Zwielicht so gut wie keine Chance hätten zu keimen. Die Buche, das sagt Bennemann auch noch, sei ja der erklärte Lieblingsbaum von Peter Wohlleben. Und tatsächlich könne ihr Schatten stiftendes Kronendach ein gutes Mikroklima schaffen, was uns im Klimawandel helfen könne. Ein Schurke, so Bennemann, bleibt der Baum trotzdem.
Ein weiterer Bösewicht ist der Walnussbaum. Ja, kommt vielleicht so romantisch daher, das Gewächs, setzt aber alles daran, dass in seinem Umfeld keine anderen Pflanzen wachsen. Die Walnuss ist „die Giftmörderin unter den Bäumen“, so Bennemann. Ihre Blätter und Nussschalen enthielten eine chemische Substanz, die wie ein Herbizid wirke. Über den Regen und die fallenden Blätter und Nüsse verteile der Baum die Substanz in seiner direkten Bodenumgebung – andere Pflanzen haben kaum eine Chance. Frage ins Publikum: Hat jemand einen Walnussbaum im Garten? Eine Dame hebt zustimmend die Hand. „Und, wächst da was drunter, unter dem Baum?”
Kopfschütteln.
Bestätigung.
Böser, böser Walnussbaum.
Blumenzwiebeln gekonnt setzen
Nein, nein, sagt hingegen Sylvia Knittel, nur eine halbe Stunde später und einen nur 200-Meter-weiten Spaziergang entfernt in der historischen Margarethenhalle, gar so sehr darf man den Walnussbaum nicht verteufeln. Einiges wachse darunter schon, zum Beispiel Blumenzwiebeln, meint die Fotografin und Autorin. Mit denen könne man überhaupt sehr „naturnah” Gärten gestalten, sagt sie, und gibt Tipps: „Schauen Sie sich die Gestaltung von der Natur ab!“ Auf größeren Flächen rät sie zur Freude an der Masse, „seien Sie nicht sparsam“, oder zumindest zur Gruppenbildung, etwa bei Narzissen. Selbst Schneeglöckchen sehen in kleineren Ensembles besser aus als in Einzelstellung. Allium wiederum macht sich einzeln gut, aber auch dann nicht gänzlich alleine, sondern so, dass immer zwei, drei, vier auf einmal sichtbar sind.
Schließlich gilt: gezielte Farbkombi anpeilen und kein buntes Durcheinander, schön seien Farbverläufe. Und: Ecken aussuchen, wo die Pflanzen ruhig verwildern können. Und bei der Pflege? „Verblühtes Laub nicht abschneiden, sondern stehen lassen, bis die Pflanze eingezogen hat, ganz wichtig!“ Die Pflanze benötigt die Kraft aus den absterbenden Resten, sammelt daraus Energie für den Austrieb im nächsten Jahr. „Das verblühte Laub lieber verdecken.“
Düngen beim Austrieb sichere zudem die Blüte des kommenden Jahres (keine Hornspäne, lieber organischen Dünger oder Kompost nehmen). Sind die Gruppen doch zu dicht geworden, dann gern ausheben und teilen – aber erst nach der Blüte. Und unbedingt: auf aktives Bodenleben achten, Würmer und Mikroorganismen fördern.
Rares Saatgut
Noch mehr Naturnähe zeigt Michaela Grüntjens. Sie ist vom VEN, dem Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt, und hat sich auf Raritäten spezialisiert. Sie sammelt seltenes, in Vergessenheit geratenes Saatgut, schaut dabei besonders auf insekten-freundliche Sorten. Dass es für Pflanzen gar nicht viel Raum braucht, zeigte sie in ihrem Vortrag. Platz für Pflanzen ist in der kleinsten Dose, mit etwas Geschick wird aus jeder Blechbüchse ein Pflanzgefäß. „Tipp: Bohren Sie die Löcher für das ablaufende Wasser nicht unten in den Boden, sondern seitlich an die Dosenwand, so zwei bis drei Zentimeter oberhalb des Bodens. So entsteht ein kleines Wasserreservoir, das den Pflanzen hilft.” Notiert, gemerkt.
Anschließend decke ich mich an ihrem Raritätenstand mit Samen ein: Blattsellerie („geschmacklich zwischen Sellerie und Petersilie”), Beinwell (endlich Jauche herstellen für die Tomatensaison 2024! Und ein Bienen- und Hummelmagnet ist er obendrein!), einem Spinat namens „Eli Peter“, den es nur deshalb nicht mehr im Handel zu kaufen gibt, weil sich die Gärtner regelmäßig an den gezackten Samen (I mean: g e z a c k t e Samen!) die Finger aufkratzten. Ich werde vorsichtig sein, versprochen, gespannt bin ich sowieso. Auch mitgenommen: den „guten Heinrich”. Früher war der „gute Heinrich“ selbstverständlicher Teil der Ernährung, wuchs er doch überall in den Dörfern, an Zäunen und auf Höfen. Heute aber, erklärt mir Michaela Grüntjens, ist er vom Aussterben bedroht. Ein Spinat-Verwandter also? Wie solcher auch zuzubereiten? Und dann noch mit einem so netten, althistorisch, fast märchenhaft anmutenden Namen (wer denkt ebenso wie ich unwillkürlich an „Heinrich, der Wagen bricht?”-Froschkönig)? Der kommt mir doch auf jeden Fall in den Balkonkasten!
Neues von Frau Hagebutte (aka „geb. Rose“)
Ein Mann, den ich ebenso schnell in mein Herz schließe, ist Werner Ruf. Der Rosengärtner aus Steinfurth hat eine große Vorliebe für die Frucht seiner Gewächse, die Hagebutte nämlich. Denn schließlich: Rosenblüte schön und gut, aber erst danach, wenn also die Blütezeit vorüber ist, kommt doch die wahre Schönheit der Pflanze zum Vorschein, schwärmt er. „Frau Hagebutte, geborene Rose”, sagt er verschmitzt, und: „Sie erscheint, wenn die Rose in Mutterschutz geht.” Okay, ein ganz klein wenig holprig vielleicht, diese Metaphernkombi. Aber zum Gernhaben.
Ausnahmslos jede Hagebutte sei essbar, erklärt er uns außerdem, am ergiebigsten seien die Früchte der für die Nordseeküste so typischen Kartoffelrosen: prall und saftig und nährstoffreich. Ja gut, das Vitamin C, das in den Butten enthalten ist, geht beim Einkochen größtenteils verloren. „Aber unterschätzen Sie nicht das Lycopin!” Wie Tomaten enthielten auch die Hagebutten einige Milligramm dieses Antioxidans’, unterstützen also das Immunsystem.
Oh, und bevor wir es uns jetzt falsch einprägen: Die Frucht der Rose ist eigentlich gar nicht die Hagebutte, sondern deren Kern. Dieser gilt botanisch als Nuss, ähnlich wie die Erdbeere. Und gesund ist der auch! Er enthält laut Werner Ruf viele gute Inhaltsstoffe, Öle und: „Galaktolipide! Der neueste Hype“ – der gemütlich wirkende, wettergegerbte Herr mit dem Strohhut sagt wirklich „Hype“ –, „aber tatsächlich eine ganz dolle Sache“. Vor allem sollen sie die Gelenke wieder geschmeidig machen. Die schön-behüteten Damen neben mir hören interessiert zu. Ruf: „Kerne mahlen, übers Müsli streuen, fertig“. Er rezitiert noch ein Gedicht, der Herr Ruf, wir klatschen, und wenn sich nicht eine der behüteten Damen wenigstens ein bisschen in den Hagebuttenmann verguckt hat, dann weiß ich auch nicht.
Kulinarisches
Achso, Essen? Ja! Gibt es auch! Gut, hier zeigt sich die Dekadenz, die Extravaganz des Festes dann doch: Gnocchi mit Trüffel hier, Rösti mit Lachs dort, um nur zwei Beispiele zu nennen. Pommes, Currywurst, Handkäs, was schnelles auf die Hand für den kleinen Geldbeutel? Eher nicht. Aber wer schlemmen will, kommt ordentlich auf seine Kosten. Zudem zu empfehlen: Afrikanischer Mokka und Tee am wunderbar unter Bäumen gelegenen Mokkastand — einer Art Lounge im ohnehin schon lauschigen Schlossgarten, im Schlosshof werden außerdem marokkanische Patisserie und Nana-Minze-Tee angeboten, nur zehn Meter entfernt leckerste Obst-, Schoko– und Käsekuchen, in Konditor-Meisterleistung hergestellt (selbst gekostet). Der, seufz, Clou aber: Das Eis. DAS EIS! Achtung, jetzt folgt (unbezahlte) Werbung. Was immer die Jungs und Mädels vom „Badehaus” (das Mutterschiff ist ein Eisladen in Seligenstadt) da machen, in ihren Produktionsstübchen, an ihren Eismaschinchen, heimlich, still und leise, sie machen es richtig. Der Lackmustest ist bei mir Stracciatella: seit jeher mein Lieblingseis, seit jeher aber auch mit Vorsicht bestellt, denn: allzuoft schon reingefallen, enttäuscht. Da ist dann das Weiße zu lahm und fad, die dunklen Stückchen zu herb, die Melange dazwischen: nicht gelungen. Nicht so aber hier. Es ist Stracciatella, wie sie sein muss, ein toller, cremiger, Hell-Dunkel aufs Beste verbindender Geschmack. So, ich wär‘ dann mal süchtig. Wann geht’s mal wieder nach Seligenstadt?
Drumherum
Und sonst so? Gibt’s Musik, gibt’s Verkaufsstände, ja, auch Gartenmöbel, ja, auch Kleidung, die ich persönlich nicht im Garten anziehen würde, Schmuck, dessen Verbindung zu Gärten sich mir gleich noch weniger erschließt. Aber so mag es sein. Es komplettiert das Bild, irgendwie, dieses Zauberhafte, Kostümhafte, leicht Surreale dieses Ortes, wir nehmen die Stände als Teil der Kulisse, als Ach-guck-mal-da-Material.
Übrigens auf alle Fälle einen Besuch wert: der Schlosspark als solcher, das historische und schön restaurierte Schwimmbad, in dem schon der Mann von Queen Elizabeth II., Prinz Philip, als Kind seine Runden gedreht haben soll (wenn wir die 2022 hier ausgestellten historischen Fotos und Bildunterschriften richtig gedeutet haben).
Und das Prinzessinnenhäuschen, 1902 als Spielhaus erbaut für eine andere Elisabeth, die Tochter des damals regierenden Großherzogs Ernst Ludwig nämlich. Viel Alice-im-Wunderland-Vibe hier. Und bitte unbedingt auch machen: Einmal über die schöne Schlossteichbrücke (ein paar Laufminuten abseits vom Festgelände) laufen. Ach was sag’ ich: schwarwenzeln!
Das Fest im nächsten Jahr: 20. bis 22. September 2024 (schon fest notiert, klar)
Internet: https://www.gartenfest.de/
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