Es kündigte sich mit einem Flüstern an: Wisper-wisper hörte ich mal hier davon, wisper-wisper schwärmte es mal leise von dort: Es gibt einen neuen Platz in der Welt, wurde geraunt, einen lauschigen, einen grünen, eine noch nicht gar so entdeckte Gegend, „fahr hin, Rome“, murmelte es durch die Luft, „schau es Dir an, erwandere es dir“.
Eine Region mit Feldern, Wald, Fels, mit Bächen, die sich durch die geheimnisvolle Gegend schlängeln, und einen See gibt es auch. Naturbelassen, idyllisch, nicht weit von Frankfurt und – überraschend – gar nicht mal so weit ab vom allzu durchgelatschten (gleichwohl immer wieder schönen) Rheingau, wo sich Touristen seit Jahren durch die Drosselgasse zwängen.
„Unberührt und wunderschön“, schwärmt meine Freundin Jetty; „mal was Neues“, sagt Freesi, die schon den Meraner Höhenweg wanderte und auch in den Höhen Nepals keine Schnappatmung bekam, eine echte Rucksack-Lauf-Expertin. Und als wir so im Auto sitzen, Frankfurt hinter uns lassen, Hofheim, IKEA-Wallau, und schon bald rechts hoch Richtung Bad Schwalbach abbiegen, bekomme ich eine Whats-App-Nachricht von Mona: „Ah, schön, das wird euch dort gefallen, und wie lustig: da war ich gerade gestern.“
Wisper-Wandern auf 15 möglichen Trails
Nun gut. Muss ja was dran sein, an diesem Wispertal, dem Wispertaunus, der, so sagt die Besucherbroschüre, ganze 15 verschiedene Wanderwege umfasst. Die werden Wisper-Trails genannt, wurden vor etwa einem Jahr in Betrieb genommen, haben ein eigenes Logo, und überhaupt wurde das Ganze hier mit ner beeindruckenden Marketingbatterie hochgefahren. Die Trails – mit Namen, bei deren Findung doch mindestens eine, vielleicht auch zwei Werbeagenturen dabei waren, oder? Oder? – werden auf einer eigenen Website vorgestellt, es gibt eine App mit GPX-Tracks, das Projekt ist eine Kooperation verschiedener Städte und Regionen der Gegend, darunter Lorch, Bad Schwalbach, Rüdesheim, dem Rheingau und dem Taunus. Die EU und das Land Hessen fördern. Das sind die Facts, mit denen ich den Mann, der heute am Steuer sitzt, füttere, während er einparkt.
Auf den Spuren der Schwalben: der Wisper-Trail „Schwälbchens Flug“
Wir haben uns für den Weg entschieden mit dem schönsten Namen (schreib das doch bitte nicht so, sagt der Mann, heißt: als wäre er jemand, der sich einen Wanderweg nach dem Namen aussucht), also gut, ich, ja, ich habe darauf gedrungen, doch bitte diesen Trail zu nehmen: „Schwälbchens Flug“ (gell? Ihr könnt es auch spüren?). Ein solcher Weg kann doch nicht enttäuschen, er kann doch nur beflügeln. Ich sehe uns schon schweben, die Schwalben zählen, selber singen – „gut jetzt“, sagt der Mann. Wir steigen aus.
Parkplatz mit Panorama. Ich bin schon mal initial angetan (der Mann auch. Ein bisschen. Doch, doch):
Ein kleiner putziger Hain erwartet uns gleich zu Beginn des Wegs, danach: Felder über Felder. Saat-Gerste, wie mir meine Pflanzen-Erkennungsapp verrät, später auch Raps, dazwischen Kornblumen, Klatschmohn, Applaus, Applaus. Das ist wirklich eine feine, offene, panoramareiche Landschaft, ich genieße jeden Schritt. „Die hätten die Route auch um einiges abkürzen können“, sagt der Mann, als er erkennt, dass wir hier und dort etwas im Kreis (gleichbedeutend für ihn mit: an der Nase) herumgeführt werden. Also per Hinweisschilder länger in der Felder-Gegend herumgeleitet werden als nötig. Hier noch ein Kringel, dort noch ein Schlenker. Ja klar, die 10,9 Kilometer müssen ja irgendwie zusammenkommen, hier, zwischen den Dörfchen Langenseifen (unser Start) und Ramschied (Ziel, bevor es auf alternativem Weg wieder zurückgeht).
Weg ist Ziel und so, denke ich, behalte es aber für mich. Binsenweisheit – und so.
Hier wacht Herr Lehmann
Im Innern von Langenseifen angekommen, stehen wir vor dem Heimatmuseum, untergebracht in einer ehemaligen, der sogenannten „Alten“ Schule. Das Museum ist geschlossen, geöffnet aber ist die kleine Erfrischungsstation, die Jens Lehmann direkt daneben – in den ehemaligen Toilettenhäuschen – eingerichtet hat. Jens Lehmann, der Zahnarzt und Ortsvorsteher der Gemeinde, der eher selten auf dem Fußballplatz im Tor steht, dafür aber gern über den Ballsport redet. Der Mann und Herr Lehmann haben also ihr Thema, ich schau mir derweil den Stationsschrank an: Wein, Radler, Wasser, Bierchen. Pflaster für den, der sie braucht, Postkarten, Hygienespray, Marmeladen aus Pflaume (ist das dann Pflaumenmus, weiß das hier jemand?). Eine Kasse, die Geldstücke aufnimmt und auf ehrliche Menschen vertraut.
Seit fünf Jahren betreibt Herr Lehmann die Station, für die ersten Wanderer, die hier herkamen, aber auch für sein Dorf. „Klar sitzt hier abends auch manchmal die Dorfjugend“, verrät er. „Ist doch ein schönes Plätzchen hier.“ Einen richtigen Dorfplatz habe sein Ort aber selbstverständlich trotzdem noch. Natürlich. Was eben alles zu einer Metropole gehört.
Dem Plätzchen und Herrn Lehmann gehört schnell mein Herz. Es ist lauschig hier, auf den knarzigen Holzbänken, es plätschert Wasser in einer Tränke, um uns herum Blumen, ein Arrangement aus Gießkannen, stetiger Trink-Nachschub aus dem Kühlschrank. Und natürlich der nette Zahnarzt a.D., der uns seine Geschichte erzählt, und dem anzuhören ist, wie gern er hier, in diesem Ort, lebt, sich für ihn einsetzt, ihm verbunden ist, obwohl er einst Frankfurt ebenso kennengelernt hat wie Mainz (die anderen, eher zu vernachlässigenden Metropolen).
„Ach, Sie gehen tatsächlich den Schwälbchens Flug?“, fragt er irgendwann, als hätte er es noch nicht ganz verinnerlicht, dass hier Tagestouristen wirklich die vor einem Jahr ins Leben gerufenen Wisper-Trails ablaufen. Merkwürdig, wie doch Marketing funktioniert, mag er denken. Sagen tut er aber: „Oh, dann haben Sie ja noch das meiste vor sich.“ Der Mann und ich gucken uns an: Wir beide hielten das hier für eine Art Halbzeit-Boxen-Stopp, eine Art Bergfest. Vielleicht nochmal die Karte checken.
Auf und ab wie die Schwalben
Tatsächlich geht es nun erst richtig los: Vor allem geht es auf und ab (daher, so verrät mir ein anderer Langenseifener, auch der Name des Trails: Es geht auf und ab wie im Schwälbchenflug. Aha. Und merke: Nie. Nie. Wanderwege nach Namen aussuchen.) Wir kommen – wieder über Felder – vorbei an einer Kapelle, und tauchen, endlich, möchte man fast sagen, in einen Wald ein.
Und dann. Spielen wir Hänsel und Gretel ohne Brotkrumen.
Ich erinnere mich, wie wir noch an einer Gabelung stehen und ich zu dem Mann sage: „Wie schön die hier doch alles ausgeschildert haben, ganz gewissenhaft, fast an jedem Baum ein Hinweis“, und auf das blitzblanke hellblaue Schild oben an einem Baum deute. Und der Mann: „Ja, mal sehen, wie lang das so bleibt, ob nicht irgendwann jemand die Schilder klaut oder umhängt.“ Es ist das letzte Schild, das uns begegnet, bevor wir uns hoffnungslos verlaufen:
Kommen an einem Sportplatz raus, werden stutzig, weil – nach der gefühlten Schilder-Invasion bedenklich – nun schon seit hundert Metern kein Hinweis mehr zu sehen ist. Vielleicht sind wir auch zu verwöhnt, überlegen wir, gucken aber trotzdem auf die Karte. Nee, irgendwas stimmt hier nicht. Der Mann zückt seine Handyanbieter-eigene-Karten-App. Und das soll man im Wald vielleicht nicht unbedingt machen, denn: Sie ist entweder besonders arglistig oder unerhört verspielt. Jedenfalls schickt sie uns über Lichtungen, über die gefühlt noch kein Mensch vor uns gelaufen ist, schließlich querwaldein, über wald-sandigen, blättrigen, zweigen- und astbedeckten Boden, über Zapfen, die munter unter den Schuhen wegrutschen und man selbst gleich fast mit. Große, kantige Äste springen einem entgegen, wenn man ungewollt auf eines der Enden tritt. Es ist ein Abenteuer. Und: Es geht bergab. Wo sind die Schwälbchen?
Da ist ein Weg, ruft der Mann, immer vorneweg, plötzlich. Wir landen irgendwo, laufen den Weg entlang, erreichen einen weiteren – und hier, endlich wieder: blitzt es blitzeblank-hellblau von einem Baum: das vertraute Wisper-Trails-Schild. Ich schaue den – ordentlichen – Weg entlang, auf dem wir eigentlich hätten hierher gelangen müssen. Wo haben wir den verpasst? Fast möchte ich ihn zurücklaufen, gucken, wo wir falsch abgebogen sind, schon allein für diesen Blog hier, aber natürlich, natürlich auch für mich. „Hunger“, sagt der Mann da aber. Es ist die Zeit gekommen, wo es zu einem ganzen Satz nicht mehr reicht. Also: Auf ins „Zum Wispertal“.
Essen: gut
Zu empfehlen hier, im einzigen Gasthaus in Ramschied: das Essen. Wir beide nehmen Fisch, er die Forelle, aus der er das Bäckchen schält, als würde er täglich nichts anderes tun („bestes Stück vom Fisch!“), ich einen Rotbarsch in süßlich-mandeliger Honigsauce. „Öfter Fisch, Romelly!“, notiere ich im Stillen. Es gibt Tegernseer Bier für den Mann, das wohl was Besonderes ist, wie Herr Lehmann sagte, wie mein Mann bestätigt, und wie ich es einfach mal, an meiner Traubenschorle nuckelnd, glaube.
Der Service ist klasse, ein netter junger Herr, der seine Karte gut kennt und Empfehlungen aussprechen kann (sicher, neben dem Fisch, auch gut: die Grillhaxe, die vegetarischen Maultaschen, das Schnitzel, die Spargelsuppe, das Taunuswild mit Spätzle, nur damit Ihr einen Eindruck bekommt). Der Sitzplatz (draußen, da Frühsommer): okay. Etwas an der Straße, aber da zu dieser Stunde eher wenig Verkehr ist, können wir essen und reden, ohne uns gestört zu fühlen. Merke: Es gibt noch weitere Open-Air-Sitzplätze ums Haus herum, abendliche Sonnenplätze wohlgemerkt, aber dem Mann war das zu sehr „Parkplatzfeeling“.
Die letzten heimkehrenden Schwalben sind – wir.
Von Ramschied aus führt der Rundweg wieder zurück zu unserem Startort in Langenseifen, auch hier verlaufen wir uns wieder, auch hier vermute ich, dass an einer Stelle einfach die Beschilderung fehlt oder wir sie – plötzlich kurzsichtig, da alles Blut runtergerutscht aus dem Kopf in den Magen zu den Fischen – einfach nicht erspäht haben (die Treppen an der Hauptstraße beim „Zum Wispertal“ hoch Richtung Langenseifen, den steilen Waldweg hinauf, scharf rechts, soweit wird es stimmen. Aber dann? Müsste links in die Felder abgebogen werden laut Karte, aber wo?) Wir fuchsen uns irgendwie durch, gehen – wie wir später erkennen – einen Parallelweg, gelangen so wieder auf den ausgeschilderten Wisper-Trail, erreichen im letzten Sonnenlicht unser Auto, das – mutterseelenallein – auf dem Platz auf uns wartet. Wir sind die letzten heimkehrenden Schwalben.
„Ach“, sage ich zum Mann, während ich mich auf den Fahrersitz fallenlasse — rückzu bin ich dran mit Fahren, Tegernseer sticht Traubenschorle –, „aber Schwalben haben wir nun gar keine gesehen“.
„Ich schon“, sagt der Mann und kuschelt sich in seinem Sitz zurecht. „Sie legt gerade den ersten Gang ein.“
Manchmal ist er zum Küssen.
–> DIE WISPER-TRAILS <–
Was?
14 neue, gut geplante, sorgfätig angelegte Wanderwege, die den Wispertaunus durchziehen. Sie alle tragen das Wandersiegel „Premiumweg“, ein Zertifikat, das vom Deutschen Wanderinstitut e.V. vergeben wird.
Wo?
Um es grob (grob(!), denn schließlich: Geometrie…) in einem gleichseitigen Dreieck zu beschreiben: Westlich beginnt die Wispergegend etwa am Rheinsteig bei Lorchhausen, östlich am Rheinsteig bei Schlangenbad, im Norden begrenzt die Gemeinde Heidenrod das Gebiet. Für Frankfurter ein möglicher Anfahrtsweg: die A66 Richtung Wiesbaden, und dann die 260 hoch nach Bad Schwalbach, von dort aus über Landsträßchen weiter zum gewünschten Trail.
Wieviele…
…Kilometer umfasst das Wegenetz?
209 insgesamt. Ordentlich was zu entdecken also.
Warum…
eigentliche Wisper-Taunus? Was flüstert da?
Nix da flüstern. Die Wisper macht’s, sie gibt der Gegend den Namen: ein kleines Flüsschen, das im Taunus (bei Mappersheim bei Kemel bei Bad Schwalbach) entspringt, sich durch ein tief eingeschnittenes Tal über knapp 30 Kilometer Richtung Südwesten schlängelt, wo es bei Lorch in den Rhein mündet.
Wie…
…sehen die Wege aus?
Unterschiedlich, für jeden was dabei:
- Für Spaziergänger (und alle mit gleichfalls Hang zu niedlichen Wanderwegnamen):
Das „Wispertaler Krönchen“. Nur 5,2 Kilometer, geringe Schwierigkeitsstufe, 105 Höhenmeter, seichte Wiesen, geschätzte Dauer: 1,5 Stunden. Liegen auf dem Weg: das „Hüddchje auf der Heide“ und die „Hersch horche Bank“. Lauschiger geht’s nimmer. - Für Alm-Öhis — und andere unerschrockene Höhenflügler:
Der „Glaabacher Almauftrieb“ — knackig sollen die Aufstiege in und aus dem Gladbachtal sein, aber dafür wird man mit tollen Ausblicken belohnt. Und im Mai ziehen hier sogar die Schafe an den Hängen hinauf auf die Alm. Warnung: Es ist der anstrengendste und längste aller Wisper-Trails (18,9 km), lässt sich aber in Etappen zerlegen (bevor es einen selbst, ähem, zerlegt. Just saying). - Für alle, die aufs Ganze gehen:
Der Wispertaunussteig. Er gehört streng genommen nicht zu den 14 Trails, da kein Rundweg, sondern eben eine Strecke, die von A nach B führt (genauer: von Kemel im Norden nach Lorch im Süden) — ein Steig eben. 44 Kilometer, zwei Bundesländer (Hessen und Rheinland-Pfalz), drei Dörfer, drei Gipfel, vier Täler. Ist zu schaffen an einem Tag, sagen die Wisper-Trail-Macher. Na denn.
- Und was ist mit See?
Ja, gibt es auch: den Wispersee (und, das sei verraten, auch unser nächstes Ziel, der Mann weiß es nur noch nicht). Zwei Wege führen hier entlang: der „Naurother Grubengold“ (14,1 km) und der (Achtung, wieder drohende Namensverzückung) „Wisper Geflüster“ (8,5 km).
Wer…
…war schon hier?
Der hier: Manuel Andrack. Das ist der von Harald Schmidt (Jahre her, Ihr wisst schon: der Redakteurs-Sidekick vom Studiorand, mit der sympathischen Ausstrahlung eines Sozialkundelehrer_meets_Sparkassenberaters, so in etwa jedenfalls) und der seither vor allem: wandert. Und darüber schreibt. Bücher und einen eigenen Wanderblog (http://andrackblog.de). Der Wispertaunussteig, so sagt er, nachdem er ihn vor zwei Jahren wanderte, sei „nicht ohne“. Man sollte schon eine „gute Kondition“ haben, damit „aus dem Wispern kein Keuchen“ wird. Der Gag könnte aus der Harald-Schmidt-Show stammen.
Wo…
…gibt’s noch mehr Infos?
Hier: https://wisper-trails.de
und hier:
Infos & Beratung: 0800 9 477 377
wandern@wisper-trails.de
8. September 2021 um 16:41 Uhr
Gestern (7.9.21) hatte ich ähnliche Empfindungen wie in eurem Bericht. Allerdings ohne jegliche Verirrung, da die Ausschilderung jetzt perfekt ist. 2019 hatte ich nämlich mit meiner Frau auch das „Gabelungserlebnis“, das wir jedoch stur am Sportplatz vorbei mit anschliessender Linkskurve irgendwie reparierten.
„Zum Wispertal“ sieht prima aus, wenn man an einem Dienstag nach Forelle lechzt.
Wir haben die Wanderung (*****) sehr genossen, Dank auch für eueren Bericht.