Ich werde ein bisschen schrullig dieser Tage (dann auch wieder: wer nicht). Flüstere mir im Supermarkt Anweisungen hinter meinem Mund-Nasen-Schutz zu (so, jetzt noch zum Käse, ach wie gut, sie haben diese Sorte wieder, ach nee, ich nehme mal die Packung da hinten, die sieht frischer aus, flüster-flüster, murmel-murmel), ertappe mich im Auto an der Ampel bei dem Gedanken: „Halte ich nicht zu wenig Sicherheitsabstand zum Wagen neben mir?“, ach, und all dies. Sind merkwürdige, Schrullen-ausbildende Zeiten.

Und ich lese. Ich meine: ich lesereie. So wie in: Kaffeesatzleserei, Handleserei.

Dass ich das tue, ist mir erst im April aufgefallen, am ersten des Monats, und das weiß ich so genau, weil ich gerade das März’sche Kalenderblatt meines (Apotheker- und nein, nicht wirklich hübschen)Wandkalenders abriss. Ich legte es zum Februar, dem letzten Kalenderblatt, das aus unerfindlichen Gründen noch in meiner Küche herumflatterte, und stellte fest: Da passt was. Da passt doch was?

Da passt der Februar, der letzte Wintermonat. Was habe ich da geschrieben. Für meine Arbeit, für mich, Zeichen für Zeichen, runtergerockt die Zeilen, zusammengesponnen die Geschichten. War eine kleine Schreibmaschine, ein Textgenerator, eine Buchstabenumherwälzapparatur. Das Kalenderblatt zeigt’s: eine Feder ist darauf zu sehen, eine Schreibfeder, und auch die handgeschriebenen Zeilen sind angedeutet.

Der fedrige Februar

 

Mein März war zweigeteilt. Der Anfang stand im Zeichen von: woanders sein. Ich war verreist, in ein frisch-grünes-sandig-rotes Land, ein Land, in dem ich meine Füße in Meerwasser tauchte, um mich herum kleine Fischlein, und ich auf ein Boot stieg, ein bisschen zitternd, denn mir war nicht geheuer. Dann der Rückflug nach Deutschland, zurück in die City, die noch grau war vom Winter, aber schon Neues verhieß: hier sollte das Jahr nun richtig losgehen, mit Kultur, mit Action, mit roten-gelben-Akzenten. Look:

The sea and the city: März

 

Oder? Oder?!

April gefällig? Corona. We all know.

Und in meiner selbstgeschmiedeten, mal schmiegsamen, mal schmirgeligen Indoor-Zeit, der Abstinenz von Außerhaus-Terminen, den Tagen voller warmer Leere, den Tagen, in denen die Leiter sehr wohl nach unten hätte führen können (und zweimal hat’s das auch), ins Deprimierte, hockte ich meistenteils da oben: in meinem schönen Heißluftballon. Da waren die scharfen, grauen Kanten, die Gefahr, aber ich hielt mich fern, schaute auf meine Stadt, betete, sie – und all die kleinen Läden, Cafés, all die tollen Künstler, die diese Stadt ausmachen, die Bühnen, die Clubs… – betete also, sie würden überleben, hockte in meinem Ballonkasten, hatte mehr gute Gedanken als schlechte, räumte mich innerlich etwas auf.

Above it all: April

 

Mai. Ja nun. Erste Lockerungen, die Tür der Corona-Dunst-Glocke wird geöffnet. Und ein weiß gezeichneter Mensch (da rechts oben, auf dem sandig-beigen Boden) guckt da hin, wo es ihn derzeit so hinzieht: ins Grüne.

Gelockerter Lockdown im Mai

 

Irgendwie tut mir das gut, rührt es mich gar: Ein Kalender, der mich ganz offenbar begleitet. Der mir sagt: bleib ganz ruhig, bleib entspannt, it’s written in the Kalenderblatt, anyhow.

Und nein, ich schaue mir noch nicht den Juni an. Schon gar nicht den Juli. Und vom August will ich auch noch nichts wissen. Kommt Zeit, kommt Kalenderblatt. Ich geh jetzt mal einkaufen. Zieh meine Maske über. Hab ein paar Takte mit mir zu reden.