Es waren angespannte Tage. Sie sollte, wollte bei Olympia in Lillehammer antreten, einmal noch, einmal noch zeigen, was sie kann. Zwei Goldmedaillen hatte sie zu der Zeit bereits geholt, Jahre war das her gewesen. Sie war mehrfache Weltmeisterin , mehrfache Europameisterin, sie war das, was die Medien „unsere Eisprinzessin“ nannten.

Nun war sie 28, eine Seniorin schon, zumindest hier, auf dem Eis. Vom Leistungssport hatte sie sich längst verabschiedet, sie lief jetzt die richtig großen Schauen. Nur noch wenige Wochen, und sie würde wieder in New York stehen, im Madison Square Garden, und gefeiert werden.

Aber nun eben doch noch einmal Olympia, Teil eines Eiskunstlauf-Teams sein, zum ersten Mal eines gesamtdeutschen.

Auf dem Schwarzmarkt hatte sie versucht, Karten zu ergattern für ihre Familie, für ihre Eltern, ihren Bruder. Doch hatte es geklappt? Hatten sie die Karten erhalten? „Ich wusste bis zum Start meines Laufs nicht, wer da im Publikum saß“, erzählt sie in der Talkshow 3 nach 9 (Radio Bremen). In dieser Zeit ohne Handys, ohne WhatsApp, ohne ständige Kontaktmöglichkeiten war Katarina Witt über Tage abgeschirmt gewesen von ihren Lieben.

Katarina geht Richtung Eisfläche, jetzt würde es darauf ankommen. Sie hatte ihr rotes Kleid angelegt, hochgeschlossen, Spitze; gleich würde sie die ersten Takte ihrer Kür-Melodie hören: „Where have all the flowers gone“, ein – wenn nicht gar das – Friedenslied.

Sie betritt das Eis. Setzt erst den einen Fuß auf die glatte Fläche, dann den anderen. Und da hört sie es. Aus der Menge, dieser fremden, unbekannten Masse von Menschen, durch das Klatschen, das Rufen, das Johlen hindurch – hört sie diesen einen trillernden, kraftvollen, unnachahmlichen Pfiff, den sie seit Jahrzehnten kennt. Tririii, komm heim, hieß das früher, oder: Tririii, nun aber mal los, das Essen steht auf dem Tisch.

Papa.

Er ist da, er ist in dieser Menge, sie haben es also geschafft, sitzen irgendwo hier in diesem Stadion auf ihren Plätzen. Er pfeift ihr zu, ihr Papa: Kati, wir sind hier, wir sind bei dir.

Und Kati läuft los.

 

  • Katarina Witt beteiligte sich nach eigener Aussage 1994 vor allem deshalb noch einmal an Olympia, um auf den zu der Zeit immer noch währenden Krieg in Jugoslawien aufmerksam zu machen. In Sarajevo (heute Kroatien) hatte sie zehn Jahre zuvor das erste Mal Gold geholt. In Lillehammer belegte sie den 6. Platz.
  • Wer (noch einmal) reinschauen mag: Katarina Witts Auftritt in Lillehammer ist hier abrufbar.
  • Wer hören möchte, wie Kati Witt selbst über den Pfiff erzählt: Hier gehts zur 3nach9-Talkshow vom 14. Januar 2022.
  • Nachtrag (Sept. 2024): Katis Welt hat sich nach dieser Sendung weitergedreht — und gedreht wurde nun auch ein Film (ZDF), der von ihrem olympischen Comeback in Lillehammer erzählt. Mit dabei: Lavinia Nowak (als Katarina Witt) und Dagmar Manzel (als ihre Trainerin Jutta Müller); Regie: Mimi Kezele.

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