Ich kann nun wirklich nicht sagen, dass es mir leicht fällt. Dieses Abschiednehmen. Von der Sonne, der Wärme, den letzten Rosen und den Cosmeen im Garten. Von dem Licht und der Leichtigkeit des Sommers und des Frühherbstes. Es geht ins Dunkle, jetzt, ins Innere. Samhain.

Grauen vor dem Grusel

Ich zögere, ob ich bei der Halloweensause dieses Jahr wirklich mitmachen soll. Mitlaufen durchs Neubaugebiet, vielleicht ein letztes Mal noch, bevor es dem Kleinen irgendwann zu albern wird (und der Tag wird kommen)… Noch einmal zuhören, wie er „Süßes oder Saures“ ruft, die Kinderstimme schon gar nicht mehr so zögerlich-schüchtern wie noch vor drei, vier Jahren, sondern bestimmter jetzt, gestählt von all den Erfolgserlebnissen alljährlich am 31. Oktober. Zusehen, wie sein Leinenbeutel mit den Süßigkeiten immer voller wird. Im Gehen die Hausdekorationen bestaunen, mich aber immer auch ein wenig gruseln, vor den aufgestellten Skeletten, den diabolisch grinsenden Kürbisfiguren, den gespannten Spinnennetzen, den einschüchternden Masken der Umherlaufenden, den Buhuuu-Rufen bei einsetzender Dunkelheit, bei hochkriechender Kälte.

Hat der 31. Oktober mehr zu bieten als Halloween?

Und ich frage mich: Gibt es nicht noch einen anderen Zugang zu diesem Monatswechsel? Dem Switch von Oktober auf November? Denn eigentlich ist es doch auch etwas Feines: Eine neue Zeit begrüßen, sich hineinbegeben, es zumindest zu versuchen – ganz offen und ohne Wehmut, das Alte, den Sommer gehen zu lassen. Doch wie macht man das?

„…diese besondere Samhain-Energie“

Dass es eine besondere Zeit ist, sagt auch Martina, Yogalehrerin aus dem Saarland. Ihr folge ich seit geraumer Zeit, seit dem Moment nämlich, als ich durch eine Wintersonnenwendfeier hier in Frankfurt das Prinzip der Rauhnächte entdeckt habe. Ich wollte mehr über diese besonderen Tage, ihre Bedeutung und ihre Wirkung wissen und bin auf ihrem Blog gelandet.

Heute weiß ich, auch durch Martina, dass es mehr Knotenpunkte im Jahr gibt als die Winter- und Sonnenwenden, neuralgische Tage oder kurze Zeiten nämlich, auf die man ruhig mal besondere Aufmerksamkeit legen kann. Da wäre Imbolc am 1. Februar, Beltane am 1. Mai, Lugnasadh am 1. August und eben Samhain am 1. November bzw. in der Nacht zuvor.

All diese Tage oder Nächte haben eine besondere Energie. Martina sagt, dass hier – nach altem Glauben – die Verbindung zwischen dem Diesseits und Jenseits stärker sei, sich kurz der Schleier zur Anderswelt hebe. Ob man das nun glauben möchte oder nicht, das kann jeder selbst für sich erfühlen und entscheiden. Ich weiß für mich, dass es mir manchmal gut tut, innezuhalten an diesen Switch-Tagen, der Zeit ein bisschen auf den Finger zu gucken, mir bewusst werden, wo im Jahreskreis wir gerade stehen, was wir hinter uns lassen – und was vor uns liegt.

Samhain heißt: das Ende des Sommers

Nichts anderes haben schließlich die Menschen schon vor Urzeiten gemacht. Samhain etwa, der Begriff kommt aus dem Irischen und bedeutet „Sommerende“ (ausgesprochen „sauin“, sagt Martina) oder auch „Vereinigung“, war der Beginn des keltischen Jahreskreises. Am 31. Oktober gedachte man der Ahnen, brachte Opfer dar und dankte für die Ernte, erklärt auch Rudi Beiser in seinem Buch „Kraft und Magie der Heilpflanzen“. Unter dem christlichen Einfluss habe sich Samhain später – über Allerheiligen – zu Halloween entwickelt. Es seien irische Auswanderer gewesen, die das Fest schließlich nach Amerika brachten, wo es sich, schreibt Beiser etwas missmutig, zum „heutigen Klamauk“ entwickelt habe. Muss man ja auch nicht mögen, das.

Die Geister mögen Hirsebrei

Interessant aber, welche Hintergründe hinter den uns heute bekannten Feiertagen stecken: Wusstet ihr etwa, dass man früher Seelenbrote buk, um sie – an Allerseelen, was wir heute am 2. November begehen — den Geistern der Verstorbenen anzubieten? Und ihnen noch weiteres Essen hinstellte? „Milch, Haselnüsse und Hirsebrei“ mochten die Geister angeblich besonders gern, verrät Beiser. Am 31. Oktober durfte zudem keine heiße Pfanne auf dem Feuer stehen, die Geister auf Besuch könnten sich ja daran verbrennen. Und was ich ja besonders reizend finde: Wer verliebt war, legte Haselnüsse ins Feuer. Verglimmten sie ruhig und lauschig, sah’s gut aus für die (erhoffte) Beziehung. Zerplatzten die Nüsse aber oder sprangen im Feuer herum, tja, dann sollte man sich lieber nach einem anderen Kandidaten umsehen.

Vorratskammer-Check

Katja vom Blog Celticgarden, die sich viel mit Ahnenforschung beschäftigt, spricht noch einen weiteren, weit praktischeren Aspekt an: An Samhain hätten sich unsere Vorfahren vor allem zusammengefunden, um über den nahenden Winter zu sprechen: Haben wir genug Essen, genug Vorräte? Wie kräftig sind unsere Tiere? Müssen wir eventuell eines davon schlachten, weil es ohnehin nicht über den Winter käme? Man betrieb also Bestandsaufnahme, machte sich an die Vorbereitung für die kalte, karge, unwirtliche Zeit.

 

Räuchern: zum Loslassen und zum Gedenken der Ahnen

Doch heute geht es am 31. Oktober, das macht auch Martina mit Blick auf den keltischen Ursprung klar, weniger um die Verwandtschaft oder gar um Liebeleien. Sondern um das eigene Innere. Um das Loslassen von alten Gedanken, die keinen Nutzen mehr für uns haben und aufgegeben werden können. Sie rät dazu, sich hinzusetzen, eine Kerze anzuzünden, ein Blatt Papier zunehmen und alles aufzuschreiben, woran man nicht länger festhalten möchte. „Gib dann ein paar Kräuter wie Salbei hinzu und lasse alles zu Asche verbrennen“, so ihr Tipp.

Räuchern empfindet auch Rudi Beiser, der vor allem Heilkräuter– und Wildpflanzenexperte ist, als schönes Ahnenritual und empfiehlt dazu eine Mischung aus Beifuß, Engelwurz, Wacholder und Fichtenharz. Damit könnten die Ahnen geehrt und eingeladen werden. „Die Räucherung bietet Schutz und unterstützt die ‚Begegnung’“, schreibt er. Martina ergänzt, man könne auch Orte aufsuchen, die einen mit den Ahnen verbinden.

 

Hamstern wie ein Eichhörnchen

Ich denke an das Neubaugebiet mit seinen Kürbisfratzen und Plastikskeletten und weiß schon, dass ich da weder Uroma Frieda noch Großtante Hella begegnen werde. Ich werde mir wohl doch einen anderen Plan für den 31. Oktober ausdenken müssen. Irgendetwas gemütliches, beruhigendes, erdendes. Den Rückgriff auf den Ursprung mit der Versammlung und der Bestandsaufnahme finde ich zum Beispiel gar nicht schlecht: Mit mir selbst zusammenkommen und zu beratschlagen: Habe ich genug Tee im Haus (nie), genug Kekse (na, also, never), Schokolade, Kartoffeln und Reis (Kohlenhydrate, denn hey, es wird Winter)? Wie stehts um Nahrungsergänzungsmittel? Zink? Vitamin D? Proteinpulver?

Wie so ein Eichhörnchen habe ich plötzlich Lust, mich mit allem einzudecken, womit ich es mir lecker und gemütlich (und gesund) machen kann. Bloß nicht mehr rausmüssen, bloß nicht mehr als nötig durch Wind und Kälte zum Rewe laufen müssen. Und wie sieht es mit Kerzen und Teelichtern aus? Und sollte ich nun vielleicht doch mal ein Spotify-Abo abschließen, um ruhige Herbstmusik, vielleicht Debussy, Schumann und Liszt, in Dauerschleife hören zu können, ohne ständig von quäkender, moderner Werbung aufgeschreckt zu werden? Was sagen meine Ahnen? Was sagt Großtante Hella? Von irgendwo her höre ich es raunen: Vergiss den alten Schumann, koch Dir erst mal was Gutes!

 

Rezepte fürs Samhain-Gefühl

Ja, na eben! Kochen! Wär das nicht was? Klar, sagt Rudi Beiser und rät in seinem Buch zum Naheliegenden: Kürbissuppe. Sie wärmt und sättigt, und der Kürbis als Hauptzutat ist ja zumindest in den amerikanischen Kontinenten eine alte Kulturpflanze. Und sie gehört zu den erdenden Lebensmitteln, ebenso wie die Kartoffel, die Pastinake, Möhren oder Süßkartoffel. Oder auch: die Rote Bete, wie Bloggerin Helene Holunder schreibt: Auch dieses Gemüse wirke erdend und verbindend und passe daher gut in ein Samhain-Rezept. Helene ist sogar noch weiter gegangen und hat aus der Roten Bete und weiteren passenden Zutaten (Quinoa: nährend, Salat und Kräuter: frisch und Neubeginn symbolisierend, Rosenblätter – die letzten aus dem Garten…) eine Samhain-Bowl kreiert – das nenne ich mal innovativ. Das Rezept findet Ihr unter: https://helene-holunder.de/mit-der-samhain-bowl-in-den-november/

Sehr traditionell für Samhain ist außerdem Barm Brack (oder auch Barmbrack), ein Früchtekuchen, wie er in Irland gebacken wird. Die Irish Times hat dazu ein Rezept veröffentlicht, was ich vielleicht dieses Jahr mal probieren werde: https://www.irishtimes.com/life-and-style/food-and-drink/recipes/the-perfect-traditional-irish-barmbrack-1.2842588 Hat es schon mal jemand gebacken? Vielleicht ja nach einem anderen Rezept? Schreibt’s mir gern in die Kommentare.

Und immer wieder werde ich schließlich meine allerliebste Evergreensuppe kochen, mit der ich schon so einige andere Menschen entzückt habe: Die Blumenkohlsuppe nach Okka Rohd, Leuts, ich sag’s Euch, die Suppe macht was mit einem (und nicht nur satt): https://sz-magazin.sueddeutsche.de/das-rezept/einfache-blumenkohlsuppe-mit-thymian-croutons-vegetarisch-88960 Probiert’s aus!

Dann möchte ich gern mal Kürbisgnocchis zubereiten, so schwer kann das doch nicht sein… Myra Snöflinga, die Rezeptequeen (ich sag nur: Blitzbrötchen!!), über die ich auch hier schon mal geschrieben habe, hatte da vor einiger Zeit schon mal eine Anleitung auf Insta gepostet: https://www.instagram.com/myra_snoflinga/reel/CUXy9vMF9dD/ – vielleicht ist es nun an der Zeit, sie mal zu testen.

 

Samhain: Zeit fürs Wesentliche – und für den Neubeginn

Aber ach, vielleicht will ich auch gar nicht so viel in der Küche stehen. Bei hellem Licht, mit all den Elektro-Geräten, den Fliesen an der Wand. Vielleicht möchte ich so viel Zeit wie nur möglich, wenn schon indoor, im Kuschligen verbringen. Sofa, Decke, Kerzenlicht. Zur Not gibt’s auch mal Lieferando-Essen (no Werbung), damit Zeit bleibt fürs Wesentliche: Nachdenken, Einkehr, zur Ruhe kommen. Lesen, Schreiben. In Geschichten verlieren.

Es ist ja auch so, schreibt Martina, die saarländische Yogalehrerin mit Sinn für den Jahreskreis: Es geht darum, Andacht zu halten, Altes loszulassen, um sich für das Neue zu öffnen. Denn all dieses Abschiednehmen, so wehmütig es machen könne, ja, so schwer es sogar manchmal fallen kann, trage ja immer auch etwas ganz Wunderbares in sich: den Funken des Neubeginns.

 

 

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