FOTOGRAFIE FORUM FRANKFURT ZEIGT BERÜHRENDE BILDERSCHAU ÜBER DAS ALTSEIN // 


 

Hanne traf Ben auf der Straße. Hatte sich nicht mit ihm verabredet, ihn nicht ausgesucht aus einem Fotokatalog voller interessanter Charaktere, ausdrucksstarker Gesichter – obwohl er genau dort hingehören würde.

Stattdessen sah sie ihn, diesen alten Mann, auf der Straße, irgendwo in den Niederlanden. Vielleicht war ihr zuerst der füllige, helle Bart aufgefallen, so buschig und weiß, dass man Ben später an der Helligkeit des Haars würde unterscheiden können von seinen zwei ebenso bärtigen Brüdern.

Ben sagte Ja. Sagte, ja, Hanne dürfe ihn fotografieren, „porträtieren“, oder wie auch immer sie das nenne. Nahm die junge Fotografin mit in sein Zuhause, ein altes, ehemaliges Schulgebäude inmitten eines großen Gartens, suchte seine Frau, Emmy, fand sie in der dunklen Scheune, wie immer beim Arbeiten, Räumen, Sammeln, Anhäufen, irgendetwas tut sie ja stets, kann einfach nicht ruhig sein. Stellte ihr die Fotografin vor, ihr Anliegen.

Und Emmy, gar nicht kamerascheu, sagt nur: „Na, dann mach mal das Licht an.“

Hanne van der Woudes Fotoreihe zeigt das „Altsein“

Es sind Bilder des Alters entstanden, in den fünf Jahren, in denen Hanne van der Woude, eine niederländische Fotografin, Ben und Emmy immer wieder besuchte, mit ihnen gar nach Südfrankreich fuhr, wo Bens älterer Bruder, Edgar, lebte und es ein Wiedersehen mit dem dritten Bruder, Herman, geben sollte. Eine ganze Fotoreihe, die ein Portrait zeichnet von drei betagten Menschen. Wie sie leben, ihren Alltag bewältigen, mal miteinander sind, mal alleine sind. Eine Reihe, die das Frankfurter Fotografie Forum gerade für ein paar Wochen zeigt.

Blick für liebevolle Kompositionen

Es sind ernstzunehmende Künstlertypen, auf die Hanne hier aus, nennen wir es Zufall, nennen wir es Glück, gestoßen ist: Emmy ist ausgebildete Malerin, Ben hat lange Jahre eine erfolgreiche Bronzegießerei betrieben, bildete sich später als Buchdrucker weiter. Sie leben als Freigeister, und ihre Lebenskraft, ihren Tatendrang, aber auch ihre ruhigen Momente hält Hanne behutsam und mit Blick für stimmige und liebevolle Kompositionen fest.

Brothers in a tub, Mas Malakoff, 2011 Copyright: Hanne van der Woude (Presskit FFF)

 

Auch im hohen Alter malten und zeichneten Ben und Emmy gern; zwei Werke in der Ausstellung zeigen Hanne: ein Gemälde, links, von Emmy – und eine Grafik, rechts, von Ben.

 

Tabus über Motive gab es im Laufe der Zusammenarbeit so gut wie keine: Einmal kam Hanne ins Haus, fragte Emmy nach ihrem Mann, die schickte sie nach oben: „Der nimmt grad ein Bad, geh ruhig hoch.“ Nacktheit, Intimität – auch das durfte Hanne mit ihrer Kamera einfangen, festhalten.

Und selbst dem letzten, dem schmerzlichsten Tabu begegnet diese Bilderreihe offen und ohne Scheu: Als Ben nach fünf Jahren ihres gemeinsamen Wegs stirbt, ist Hanne gerade nicht zu Besuch. Aber sie gibt Emmy in den Tagen zuvor, Bens Sterben ist schon absehbar, eine Kamera, sagt ihr: „Wenn du die Kraft hast, wenn dir danach ist, dann halte die letzten Momente mit Ben fest.“

Ob Emmy nicht wirklich mit der Kamera – einer digitalen – umgehen kann, ob ihre Hände wackeln vor Schmerz, sie fahrig oder nervös ist – die Bilder, die in diesen letzten Minuten von Bens Leben entstehen, sind zu einem großen Teil verschwommen, haben, so sagt der Begleiter durch die Ausstellung, „einen zitternden Gestus“.

Man kann das Unfassbare darin lesen, die Ohnmacht darüber, einen Menschen nicht halten zu können, einen sterbenden Menschen nicht am Gehen hindern zu können. Das Nichtbegreifenkönnen oder -wollen dessen, was geschieht.

 

Zur Ausstellung gehört neben den Fotos auch eine kleine Filmreihe, jeweils fünfminütige Videos, in denen Hanne Ausschnitte des Lebens von Ben und Emmy festgehalten hat. Im Garten, am See, Ben im Badezimmer, sich ausziehend, Emmy, die sich irgendwo im Freien ihre Haare bürstet, ja, sie entwirrt, und schließlich die Brüder und Emmy im Auto, cool mit Sonnenbrille.

Was die Clips zeigen, ist Alltag im Alter, und was sie auslösen, ist etwas, wofür man als Besucher dankbar sein kann: Sie befreien den Betrachter von dem Grauen davor, selbst einmal faltig, tattelig, greise zu sein. „In einer Gesellschaft, in der Altern nicht modern ist, nimmt einem diese Ausstellung für 30 Minuten lang die Angst davor“, schreibt ein Besucher ins Gästebuch des Veranstaltungshauses. Und er wird vielen aus der Seele sprechen.

Und dann zeigt ein Video Ben, wie er im Licht einer Lampe einer Beschäftigung nachgeht, vielleicht etwas liest oder zeichnet. Doch die Lampe hat ein merkwürdiges Eigenleben, regelmäßig geht sie nach einiger Zeit aus, Ben muss immer wieder einen Kopf drücken, damit das Licht wieder aufflackert.

Das Licht erstrahlt dann wieder hell, fast grell, es leuchtet Ben, den Mann mit dem langen Bart, aus wie einen Helden auf einem Barockgemälde, erreicht seinen Peak, und nimmt dann immer weiter ab, erlischt. Die Lampe brennt nicht länger als eine Minute.

Eine Minute. Oder ein ganzes Menschenleben.

 

Hanne van der Woude: Emmy’s World
Fotografie Forum Frankfurt
Braubachstraße 30-32
60311 Frankfurt am Main
www.fffrankfurt.org