Ach Mrs Obama, Michelle, „Miche“. Ich wollte Dich so gerne mögen. Dich, Dein Buch, Deine Geschichte, Deine literarische Figur. Dich oder zumindest Deine Ich-Erzählerin kennenlernen, mit Dir fühlen können, mit Deinen Hochs, Deinen Tiefs, Deinen Highs, Deinen Lows.

Dir näherkommen.

Und das alles wurde mir doch auch versprochen, oder nicht? Schau Dir das Cover an, dieses strahlende, einladende, inspirierende Himmelblau, the sky is the limit, diese Frau, die sich mir wie eine Lichtgestalt entgegen neigt, komm, scheint sie zu sagen, hör‘ meine Geschichte, extra für Dich habe ich meine Haare perfekt frisiert, extra für Dich die Nägel perfekt manikürt. Und dann der Titel, „Becoming“ – auch in der Deutschausgabe in englisch belassen und das ist sicher gut so –, dem, aber vielleicht ist das nur mein musikalisches Ohr, ein „Welcome“ innezuwohnen scheint. Und, so klappert der Klappentext, „inspirierend“ sei diese Autobiographie auch. Nun denn.

Buch mit Agenda

Fakt ist: Das Buch ließ mich seltsam kalt. Und weil ich es nicht anders gelernt habe, gehe ich dem etwas auf die Spur. Denn: Wie kann es sein, dass die Geschichte einer Frau, die sich aus bescheidenen Arbeiterverhältnissen emporgearbeitet hat, zu einer Fachanwältin für Wettbewerbsrecht mit einem Jahresgehalt in sechsstelliger Höhe (merke: in den Neunzigern), und die – darüber hinaus möchte man fast sagen, denn wäre es nicht schon bis hierher eine spannende Story? – einen Mann kennenlernt, sich verliebt, sich verheiratet, dem sie später als (erste Schwarze) First Lady ins Weiße Haus folgt – wie kann es sein, dass mich die Erzählung dieses verdammt vielversprechenden Plots NICHT BERÜHRT?

Zunächst wohl deshalb: Diese Autorin hat eine Agenda. Und Bücher, vor einer Agenda geschrieben, sind oft – naja, mühsam. Sie sind mühsam geschrieben, man liest ihnen die Anstrengung an, denn das Ziel will ja erfüllt werden. Bei Obama ist es das Ansinnen, zu zeigen, was mit Bildung alles möglich ist. Oder besser: dass Bildung überhaupt möglich ist, auch in den USA, auch für Schwarze, auch für Arbeiterkinder. Sie will den einen, Schwachen, Mut machen, die anderen, Starken, dazu bringen, Bildungsmöglichkeiten für Erstere zu schaffen.

Dazu erzählt sie ihre eigene Coming-of-Age-Geschichte als Parabel, setzt sich selbst als ehrgeiziges, lernwilliges Mädchen in Szene. Dem Hindernisse dankenswerterweise aus dem Weg geräumt werden (etwa durch die Mutter, die sie in eine andere Schulklasse steckt, nachdem sie von ihrer Tochter erfährt, wie nachlässig die Klassenlehrerin ist), die aber – noch viel mehr – sich selbst auf den Hosenboden setzt und unnachgiebig lernt, sich dabei auch von missgünstigen Menschen nicht vom Weg abbringen lässt (etwa der Studienberaterin, die ihr attestiert, kein „Material“ für die Elite-Uni Princeton zu sein – auf die sie es dann aber doch schafft). Das ist alles wunderbar, doch ach, man spürt die Absicht.

Was mich irritiert: Beim Stofflernen geht es ihr, soweit ich sie verstanden habe, nicht um den Inhalt, nicht um die Lust auf Neues, Spannendes. Nicht Neugier ist hier der Antrieb, Lernen ist vielmehr Mittel zum Zweck. Je mehr sie übte, so habe sie als Kind bereits festgestellt, desto mehr Fortschritte zeigten sich. „Ich bekam ein kribbelndes Gefühl der Genugtuung davon“, heißt es einmal.

Ach. „Genugtuung“. Wahrlich kein Gefühl, das mir jemanden spontan sympathisch macht.

…als würde sie Arbeitszeugnisse ausstellen wollen – und keine Autobiographie schreiben

 

Hinzukommt: Sie will sich mit dem Buch bedanken. Oh, wem sie alles dankt. Ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrem Bruder, schließlich jedem, der ihr auf der Uni und später im Weißen Haus etwas mitgegeben hat. Dem ganzen Buch läuft – so nehme ich es wahr – ein Faden mit, eine Art Auftrag, „wen muss ich noch erwähnen, habe ich die Assistentin xy auch nicht vergessen, und die Kollegin yx?…“, als würde sie Zeugnisse ausstellen wollen, mit Vornamen, Nachnamen, genauer Funktionsbezeichnung, lobenswerten Eigenschaften. Die fünfseitige „Danksagung“ am Ende des Buchs, die hätte es dann wirklich nicht nochmal gebraucht.

Anstrengend, all das. Gewollt und pflichtbewusst und jede Leichtfüßigkeit erstickend. Und ein Gefühl der Inspiration? Stellt sich darüber auch nicht ein.

Bleibt etwas?

Ja. Durchaus. Denn natürlich bietet Michelle Obama interessante und offene Einblicke in ihr Leben, erzählt etwa, dass sie von ihrer Familie „Miche“ genannt wurde, berichtet, wie sie Barack Obama kennenlernt (erstmals auch aus ihrer Sicht, denn Barack hatte das Kennenlernen, wenn ich mich richtig erinnere, auch schon in „Hoffnung wagen“ beschrieben), verrät, dass ihr berühmter Ausspruch „When they go low, we go high“ (den ich ungemein schön finde, ein Diamant von einem Satz) keineswegs ein Slogan ist, den sie (oder das Wahlkampfbüro der Demokraten) sich extra als Reaktion auf Trumps rüpelhaftes Verhalten im Wahlkampf 2016 überlegt hätte, sondern ein Motto, das sie und Barack schon eine Weile begleitet – auf dem Parteitag der Demokraten 2016 stellte sie es nun lediglich der Öffentlichkeit vor, wie sie schreibt.

Sie lässt auch nicht aus, dass sie und ihr Mann im Verlauf ihrer Ehe eine Paarberatung aufgesucht und ihre zwei Töchter mit medizinischer Hilfe bekommen haben. Sie beschreibt, wie sie sich, ärztlich verordnet, täglich eine Hormonspritze „in den Oberschenkel jagt“, um endlich schwanger zu werden – „Ja, ich wollte es mit ganzem Herzen“ – und wie irritiert sie darüber ist, dass hier, bei der künstlichen Befruchtung, so eine Ungleichheit zwischen Mann und Frau besteht. Er brauche nur eine Spermaprobe abgeben. Sie aber müsse sich täglich Hormone spritzen, zum Ultraschall „rennen“, sich Blut abnehmen lassen, den Gebärmutterhals abtasten lassen.

Ja, vielleicht macht das Frauen Mut, die einen ähnlich starken Kinderwunsch verspüren und dafür all diese Strapazen auf sich nehmen, das mag gut sein, und das wünsche ich ihnen. Ich aber empfand sogar dieses Kapitel merkwürdig distanziert. Und wenn ich es nochmal durchgehe, fallen mir auch die Begriffe auf, die Obama verwendet: „(keine Schwangerschaft) erzwingen“, „(Chancen steigen nicht) proportional zum Einsatz“, „egal, wie wir uns auch bemühten“, „Maßnahmen“, „Wirkung“, „Plan“, „Effekt“, „Mission“, „gewünschtes Ergebnis“, und (als Michelle dann schönerweise schwanger wurde und die erste Tochter bekam): „als hätte nun jedes Möbelstück seinen perfekten Platz“. Man will sich mit ihr freuen. Hat aber doch das Gefühl, hier wäre nur wieder, nach Anstrengungen, ein Plan aufgegangen, hätten sich Mühen gelohnt.

Ausbruch aus dem Weißen Haus braucht zehn Minuten

Was ich stattdessen gern mitnahm: all die Einblicke ins Weiße Haus. Nicht auf politischer Ebene, sondern auf wohnlicher, persönlicher. Die Beklemmung, dort zu leben, das Gewusel der Mitarbeiter um einen herum, das Wenige an Privatsphäre. Das Wissen, den einzigen möglichen privaten Open-Air-Ort des Gebäudes, den Truman-Balkon, nur nutzen zu können, nachdem all die Touristen davor fortgejagt sein würden. Und die Hemmungen, diesen Menschen ihren Sightseeingtag, ihren „Urlaubstag“, so Obama, zu verderben.

Dass das Haus so verschanzt ist, auch akustisch, dass kein Laut von draußen eindringt, das war mir nicht bekannt. Dass es eine ungeplante Rutschbahn in einem der vielen Flure gibt (wie die Bush-Töchter den Obama-Töchtern zeigten). Und dann der Bericht über den (schließlich gelingenden) Versuch eines Ausbruchs von Michelle und ihrer ältesten Tochter eines Abends, als sie das Weiße Haus – anlässlich der Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Ehen bunt angestrahlt – spontan von außen sehen wollen. Zehn Minuten brauchten sie, um einen Weg nach draußen zu finden, Türen zu finden, die nicht verschlossen sind, stets die Agenten auf ihren Fersen. Das liest sich kurz wie ein Krimi. Und zeigt, wie unfrei man als Bewohner dieses Hauses ist.

Rubrik: Geschenkbücher

Das Buch, das stelle ich mit Blick in meinen Bekanntenkreis fest, wird oft verschenkt. Natürlich vornehmlich an Frauen: an die Ehefrau, schau hier, eine weitere starke Ehefrau (an der Seite eines tollen Mannes, höhö), an die Mutter, schau hier, die hat ihre Kinder auch lieb – und wolltest Du nicht immer mal wissen, was im Weißen Haus so vor sich geht?, die Kollegin, guck, auch eine Frau, die ihren beruflichen Weg geht. Dafür eignet es sich gut, finde ich. Als eine Art Botschaft. Als ein: ich sehe etwas in dir.

Inspirierende Poesie sollten die so Beschenkten aber nicht erwarten.

„Miche“ hat, so ist zu lesen, schon ein weiteres Buch in Planung. Vielleicht findet sie bis dahin eine ihr eigene, literarische Stimme, einen eigenen Ton, ein Timbre. Vielleicht macht sie sich bis dahin frei von inhaltlichen Strategien, erlaubt sich einen schreiberischen Flow. „Becoming“ bedeutet ja immer auch: vorankommen, sich entwickeln.

 

Michelle Obama: Becoming — Meine Geschichte
Aus dem Amerikanischen von Harriet Fricke, Tanja Handels, Elke Link, Andrea O’Brien, Jan Schönherr, Henriette Zeltner
Deutsche Erstausgabe, 2018

Hardcover mit Schutzumschlag, 544 Seiten
ISBN: 978-3-442-31487-4
Verlag: Goldmann