FOTOGRAFIE FORUM FRANKFURT ZEIGT BERÜHRENDE BILDERSCHAU ÜBER DAS ALTSEIN //
Sie traf Ben auf der Straße. Hatte sich nicht mit ihm verabredet, ihn nicht ausgesucht aus einem Fotokatalog an interessanten Charakteren, ausdrucksstarken Gesichtern, obwohl er genau dort ebensogut hineingepasst hätte. Sie sah ihn, den alten Mann, auf der Straße, irgendwo in den Niederlanden. Vielleicht war ihr zuerst oder vor allem der füllige, helle Bart aufgefallen, so buschig und weiß, dass man Ben später an der Helligkeit des Haars würde unterscheiden können von seinen zwei ebenso bärtigen Brüdern.
Er sagte ja, sie dürfe ihn fotografieren, porträtieren, wie auch immer sie das nenne, nahm die junge Frau mit in sein Zuhause, ein altes, ehemaliges Schulgebäude inmitten eines großen Gartens, fand seine Frau, Emmy, in der dunklen Scheune, wie immer beim Arbeiten, Räumen, Sammeln, Anhäufen, irgendetwas tut sie ja immer, kann nicht ruhig sein. Stellte ihr die Fotografin vor, ihr Anliegen.
Emmy sagt nur: „Na, dann mach mal das Licht an.“
Es sind Bilder des Alters entstanden, in den fünf Jahren, in denen Hanne van der Woude, eine niederländische Fotografin, die beiden Greise immer wieder besuchte, mit ihnen gar nach Südfrankreich fuhr, wo Bens älterer Bruder, Edgar, lebte und es ein Wiedersehen mit dem dritten Bruder, Herman, geben sollte. Eine ganze Fotoreihe, die ein Portrait zeichnet von drei betagten Menschen, wie sie leben, ihren Alltag bewältigen, miteinander sind, alleine sind, eine Reihe, die das Frankfurter Fotografie Forum nun noch bis 4. Dezember 2016 zeigt.
Es sind Künstlertypen, auf die Hanne hier aus, nennen wir es Zufall, nennen wir es Glück, gestoßen ist: Emmy ist ausgebildete Malerin, Ben hat lange Jahre eine erfolgreiche Bronzegießerei betrieben, bildete sich später als Buchdrucker weiter. Sie leben als Freigeister, und ihre Lebenskraft, ihren Tatendrang, aber auch ihre ruhigen Momente hält Hanne behutsam und mit Blick für stimmige und liebevolle Kompositionen fest.
Tabus über Motive gab es im Laufe der Zusammenarbeit so gut wie keine: Einmal kam Hanne ins Haus, fragte Emmy nach Ben, die schickte sie nach oben: „Der nimmt grad ein Bad, geh ruhig hoch.“ Und selbst dem letzten, dem schmerzlichsten Tabu begegnet diese Reihe offen und ohne Scheu: Als Ben nach fünf Jahren ihres gemeinsamen Wegs stirbt, ist Hanne nicht zu Besuch, aber sie gibt Emmy in den Tagen zuvor eine Kamera, sagt ihr: „Wenn du die Kraft hast, wenn Dir danach ist, dann halte die letzten Momente mit Ben fest.“
Ob Emmy nicht wirklich mit der Kamera – einer digitalen – umgehen kann, ob ihre Hände wackeln vor Schmerz, sie fahrig oder nervös ist – die Bilder, die in diesen letzten Minuten von Bens Leben entstehen, sind zu einem großen Teil verschwommen, haben, so der Begleiter durch die Ausstellung, „einen zitternden Gestus“. Man kann das Unfassbare darin lesen, die Ohnmacht darüber, einen Menschen nicht halten zu können, einen sterbenden Menschen nicht am Gehen hindern zu können. Das Nichtbegreifenkönnen oder -wollen dessen, was geschieht.
Zur Ausstellung gehört neben den Fotos auch eine kleine Filmreihe, jeweils fünfminütige Videos, in denen Hanne Ausschnitte des Lebens von Ben und Emmy festgehalten hat. Im Garten, am See, Ben im Badezimmer, sich ausziehend, Emmy, die sich irgendwo im Freien ihre Haare bürstet, ja, sie entwirrt, und schließlich die Brüder und Emmy im Auto, cool mit Sonnenbrille. Was die Clips zeigen, ist Alltag im Alter, und was sie auslösen, ist etwas, wofür man als Besucher dankbar sein kann: Sie befreien den Betrachter von dem Grauen davor, selbst einmal faltig, tattelig, greise zu sein. „In einer Gesellschaft, in der Altern nicht modern ist, nimmt einem diese Ausstellung für 30 Minuten lang die Angst davor“, schreibt ein Besucher ins Gästebuch des Veranstaltungshauses. Und er wird vielen aus der Seele sprechen.
Mutig – aber auch konsequent in all seiner Natürlichkeit: Hanne drückt Emmy eine Kamera in die Hand: „Wenn Du kannst, halte die letzten Momente Deines Mannes fest“. Emmy kann. Die Bilder, teils zittrig verwaschen, berühren – gerade, weil sie dem Betrachter das zeigen, was ist. Und was sein wird.
Und dann zeigt ein Video Ben, wie er im Licht einer Lampe einer Beschäftigung nachgeht, vielleicht etwas liest oder zeichnet. Doch die Lampe hat ein merkwürdiges Eigenleben und geht regelmäßig nach einiger Zeit aus, Ben muss immer wieder einen Kopf drücken, damit das Licht wieder aufflackert. Das Licht beginnt dann hell, fast grell, leuchtet Ben, den Mann mit dem langen Bart, aus wie einen Helden auf einem Barockgemälde, bis es immer weiter abnimmt, schließlich erlischt. Die Lampe brennt nicht länger als eine Minute.
Eine Minute. Oder ein ganzes Menschenleben.
Hanne van der Woude: Emmy’s World
Fotografie Forum Frankfurt
Braubachstraße 30-32
60311 Frankfurt am Main
Noch bis 4. Dezember 2016
www.fffrankfurt.org
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