Romelly besucht ein US-Car-Treffen – und wundert sich

Ich weiß nicht so recht, wo das herkommt: die Liebe der Menschen zum Auto. Zum schnellen Auto. Zum Flitzer. Eine Liebe, die so groß ist, dass sich die Menschen dringend und ausgiebig austauschen müssen über PS, Hubraum und Zahnradhinterachsenmanschetten (habe ich eben erfunden, googeln zwecklos). Mich interessiert über mein Auto nicht viel mehr als (und zugegeben: viel mehr weiß ich auch nicht): Farbe, Baujahr (weil nette männliche Neubekanntschaften im Zweifel danach fragen) und – welchen Sprit es braucht. Letzteres vergesse ich auch gern mal. Aber ehrlich: Bei meiner Kaffeemaschine juckt es mich doch auch nicht, welche Anladerkraft das vordere Antriebsventil aufbringt. Oder so. Kaffee kommt raus, Kaffee schmeckt. Auto fährt, Fahrer dankt. Maschinen sollen funktionieren – und gut aussehen. Punkt. Oder doch Komma?

Meine Freundin M. hat neuerdings ein „Babe“. Ein dunkelgrünes, kühnes Konstrukt aus Kunststoff („Kein Blech!“, hebt M. den Zeigefinger. „Das ist entscheidend!“), mit einer gefühlt nicht enden wollenden und beängstigend schnabelgleich geschwungenen Motorhaube, einem zurückklappbaren Dach und – damit hat es M.s Herz gewonnen: Kulleraugen (sagen Mädchen), Klappscheinwerfer (die Jungs – und M. natürlich). Eine Corvette, Baujahr „Beverly-Hills-90210“-Ära, ich sehe noch den smarten, blondgelockten Angeber Steve in einem ähnlichen Modell schnittig auf den Schulhof brettern.

„Babe“ – klar, so ein Auto braucht einen Namen – bringt uns heute gefährlich weit in die südliche Provinz: In Sinsheim, einem Nest östlich von Mannheim und westlich von Heilbronn, also quasi in the middle of nowhere, treffen sich Liebhaber alter und mittelalter amerikanischer Schlitten. Der ganze Parkplatz vor dem heimischen Technikmuseum (drinnen: liebevoll dargestellte Autos, Vespas, auf dem Dach: Flugzeugmodelle; ein Eldorado für Jungs, ein fragwürdiges Vergnügen für mich) ist vollgestellt mit Modellen, nach denen man sich üblicherweise auf der Straße umguckt: kanariengelbe Aufreißermodelle Marke Goldkettchen, hübsche, taubenblaue 50-er Jahre Edelkarossen, die an Marilyn erinnern, und mittendrin: wir, mit Babe.

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Wir fahren offen, das ist klar, sehen mit unseren um die Köpfe gebundenen Tüchern (ehrlich: reine Zweckmaßnahme ohne modische Message) aus wie eine Mischung aus Grace Kelly und Piratenbraut, und ich merke, dass Cabriofahren, zumal in einem auffälligen Wagen, anstrengend ist: die Privatsphäre ist perdu, die Leute gucken, fotografieren und (ja!) filmen – und man hat keine Wände, hinter denen man sich (und seine bereits windverbrannte rote Nase) verstecken kann.

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M. streift über den Platz, bestaunt jedes Auto und ist in ihrem Element. Ich mache mir so meine Gedanken über Autos und Halter. Sind das Jungs (oder, hm, auch Mädels?!), mit denen ich ein Bierchen zischen würde? Mit Henry, Rolf und Gert ganz sicher. Die Burschen haben vor einem Jahr einen kleinen, feinen, regionalen Corvette-Club gegründet, einen von siebzehn in ganz Deutschland. Zwölf Mitglieder zählen sie derzeit, und sie schwärmen. „Der Sound“, sagt Gert, „der Sound einer Corvette ist unvergleichbar.“ Wie zur Untermalung röhrt es hinter ihm einmal laut auf, Autobesitzer demonstrieren gern mal, was sie haben. Und sein Kumpel Henry, kurz und akkurat geschnittenes Silberhaar und gestutzter Vollbart, schicke getönte Brille, Siegelring, fällt mit ein: „Wenn man nach PS, nach Hubraum und nach Design geht, gibt es nichts anderes als eine Corvette.“ Und er erzählt Storys. Dass General Motors, zu denen Chevrolet gehört, zu denen wiederum das Modell Corvette gehört, die ersten waren, die Mitte des letzten Jahrhunderts Designer anheuerten. Design am Auto, erzählt der studierte Ingenieur, sei damals eine ganz neue Sichtweise gewesen. Der Corvette-Chefdesigner habe sich seinerzeit für die ersten Modelle von seinem Hobby inspirieren lassen: der Hochseefischerei. Rochen, Hai – die anatomischen Merkmale seien heute noch in der Karosserie mancher Corvettes sichtbar. Ich denke an die lange, geschwungene Motorhaube unseres Babes und nicke wissend. Doch die Amis waren zurückhaltend, so recht trauten sie dem neuen Aussehen, dem neuen Schick der Autos nicht. Da musste erst Konkurrent Ford kommen. „Als die ihren Thunderbird auf den Markt brachten, ließ das interessanterweise auch die Verkaufszahlen der Corvette hochschnellen.“ Henry habe deshalb heute extra, als kleine Reminiszenz?, als kleiner ironischer Wink?, seine Corvette, ein traumhaft schönes Modell in maronenbraun, neben einem Thunderbird geparkt.

Lieben alte US-Schlitten: die netten Männer vom Corvette-Club

Lieben alte US-Schlitten: die netten Männer vom Corvette-Club…

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…und ja – ein bisschen kann man es verstehen…

Gegen Nachmittag ist der Platz rappelvoll – mit Autos und Besuchern. US-Car-Besitzer, die jetzt noch ankommen, werden auf angrenzende Plätze verwiesen. „Nächstes Jahr müssen wir das Ganze etwas eindampfen“, sagt einer vom Organisationsteam. „Dann werden wir vielleicht nur noch Modelle zulassen, die älter als 15 Jahre sind.“ M. freut sich – Babe darf auch dann noch teilnehmen.

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Wir machen uns auf den Heimweg, fahren offen, klar. Ein Radio hat das Auto nicht, und wir müssen schreien, um uns zu unterhalten. Aber hey, der Sound, der Sound einer Corvette, der ist schließlich unvergleichbar.