hr-Wagen vor Zirkuszelt

Die Tukur-Tatorte sind ja nun wirklich die skurrilsten von allen, oder? Ich erinnere an tanzende Kessler-Zwillinge im Gruselschloss und an einen Kommissar, der Zwiegespräche mit seinem Hirntumor führt. Der ARD-Krimi mit dem Wiesbadener LKA-Mann Felix Murot, gespielt von Ulrich Tukur, hat eine ganz eigene abstruse, der Welt entrückte Färbung.

Der dritte Tatort dieser Reihe, den der Hessische Rundfunk (hr) in diesen Tagen in Frankfurt dreht, spielt konsequenterweise dort, wo Absurditäten zu Hause sind: im Zirkus, genauer: im (fiktiven) Zirkus „Raxon“. Hier schlüpft der Kommissar undercover (großartig: Tukur als Pianist der Zirkuskapelle) unter, um einen rätselhaften Fall zu lösen.

Mit dabei in dieser Szenerie: ich. Nein, nicht als Trapezkünstlerin (ich kann mich grad noch beherrschen), nicht als Löwendompteurin (die bändige ich vielleicht andernorts, aber sicher nicht in der Manege) – nee nee, ich sitze einfach nur so rum.

„Statist“ nennt man das auch. Oder, so beim hr: Komparse. Kann im Prinzip jeder machen, der ein bisschen Zeit freischaufelt und sich nicht zu schade ist, auch mal ein paar Stündchen auf seinen Einsatz zu warten (um dann im schlechtesten Fall nur als Hintergrundrauschen im Bild zu sein).

Gänsehautmomente

Warum ich das mache? Weil man bei keiner anderen Gelegenheit Filmemachern so toll über die Schulter gucken kann. Weil man ganz nah dabei ist, wenn sich die Schauspieler mit ihren Texten, ihren Rollen abmühen, weil man sehen kann, wie sich manche vordiktierten Dialoge oder Handlungen noch vor der Kamera weiterentwickeln und verändern. Weil man einen ganz anderen Blick für Filme bekommt.

Und auch für Augenblicke wie diesen: Gerade sind einige Showszenen abgedreht – laut war es, bunt sowieso (pinke Pudel siehe links, lila Tüllkleider, fliegende Messer, das ganze Programm) –, da hat eine zunächst unscheinbar wirkende Schauspielerin ihren Auftritt. Mitten im Statistenpublikum sitzt sie, erhebt sich plötzlich, ruft. „Da ist er, ich kenne diesen Mann!“ Hektisch bahnt sie sich ihren Weg durch die Zuschauerreihe, zeigt in die Manege, schreit weiter, panisch. „Helft mir doch, ergreift ihn doch!“

190 Komparsen starren sie gebannt an. Und als der Regisseur (Justus von Dohnanyi) „Aus, danke!“ ruft, beginnt der ganze Komparsenstamm spontan zu klatschen. Aus dem Film-Team hören wir eine männliche Stimme rufen: „Wow!“ – es kommt von Kollege Tukur.

Victoria Trauttmansdorff heißt diese intensiv spielende Akteurin, seit Jahren ist sie am Thalia Theater engagiert, hatte aber auch schon diverse Filmrollen, etwa im Tatort „Unsterblich schön“ oder – ergreifend: als eine ihren Mann prügelnde Ehefrau – im Film „Gegenüber“ an der Seite von Matthias Brandt.

Die Szene wird noch mehrmals gedreht, stets ist irgendwas nicht ganz optimal, Licht, Ton, Kamerawinkel. Immer aber spielt Trauttmansdorff voller Spannung, hält die Energie, immer können wir nicht anders, als ihr anschließend zu applaudieren. Reine Gänsehautmomente sind das.

Lakritz für gute Laune

Fiktiver Zirkus Raxon

Frankfurter Tatort im fiktiven Zirkus Raxon

Es wird ein langer Tag. Im Zelt wird es nicht so recht warm, wir ziehen unsere Mäntel enger, wickeln uns Schals um den Hals, eine Statistin legt sich Alu-Sohlen (extra mitgebracht, manche Leute sind so was von vorbereitet…) in die Schuhe. Ab und an gibt es etwas zu essen (heißen Kaffee, mittags kleine Portionen Chili con Carne und Nudeln, später Mandarinen und Lakritze), aber irgendwann ist unsere Laune dahin.

Wir wollen heim an diesem November-Sonntag, ins Warme, Gemütliche. Bis fünf, spätestens halb sechs sollte der Dreh ursprünglich dauern. Nun ist es halb sieben, seit zehn Stunden sitzen wir bereits hier. Langsam wird es tumultig, einige schultern demonstrativ ihre Taschen, „wir wollen aufbrechen“, soll das heißen, „und zwar schleunigst“.

Aber noch sind nicht alle Szenen abgedreht, fehlen letzte Einstellungen und O-Töne. Gegen sieben wird immerhin die eine Hälfte der Komparsen entlassen, der Rest aber muss bleiben. „Aber wir sind doch eh nicht im Bild“, sagt eine, die mit zwanzig anderen Statisten in einer abgelegenen Ecke des Zeltes sitzt. „Da können wir doch genauso gut gehen.“ Doch die Komparsenbetreuerin legt den Zeigefinger an die Lippen, bitte Ruhe, die Crew braucht Konzentration. Es ist schließlich zwanzig Uhr, als der Regisseur verkündet: „Das war’s für heute.“

Eine ältere Dame neben mir atmet erleichtert auf. „Wenn ich mich beeile, schaffe ich es bis 20.15 Uhr nach Hause“, sagt sie.

Gerade noch rechtzeitig – zum Tatort.