Die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev über das Schreiben aus unterschiedlichen Perspektiven

Cover_Für den Rest des LebensEin neues Buch von Zeruya Shalev aufzuschlagen ist so, als würde man sich mit einer guten alten Freundin treffen, sagt Felicitas von Lovenberg zu Beginn der Lesung der israelischen Schriftstellerin im Frankfurter Literaturhaus. Man wisse aber als Leser auch sogleich, so die FAZ-Literaturexpertin, dass nun ein ehrliches Gespräch folgen würde, ein tiefes Gespräch. Dass einem diese Freundin Dinge aufzeigen werde, die man sich so noch nicht getraut hatte zu denken.

Ich – im Publikum – nicke und lächle. Ja genau. Zeruya Shalev zu lesen gleicht einer Zusammenkunft mit einer Vertrauten, bei der man weiß, sie nennt Dinge beim Namen, kitzelt den Nerv, schaut tief hinein in die Seele ihrer Charaktere, bohrt und wühlt und holt hervor, klopft ab, beäugt, beschreibt, trifft uns, die Leser, ins Herz. So geht es mir in diesen Tagen, während ich „Mann und Frau“ lese, Shalevs zweiten Roman, den sie 2001 – und damit ein Jahr nach ihrem Debüt „Liebesleben“ – veröffentlichte. Und eben deshalb, weil mich also ihre Sprache, ihr genaues Hinsehen und ihr präzises Wiedergeben so packen, sitze ich heute hier. Will einen Blick werfen auf die Frau, die so, so hat es unlängst DIE ZEIT formuliert, „vulkanische Erzählsituationen“ schafft, ihre Geschichten mit so viel innerem Druck auflädt, dass sie zu explodieren drohen.

Fahrweg kaum ausgeleuchtet

Fünf Jahre hat Zeruya Shalev für ihren aktuellen Roman „Bis zum Ende des Lebens“ gebraucht, den sie – gemeinsam mit der Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader – heute vorstellt. Sie habe an dem Text gearbeitet, erklärt sie uns, wie man im Dunkeln ein Auto steuert: So wie auch beim Fahren die Scheinwerfer nur die nächsten paar Meter der Straße ausleuchten, den Rest, die Umgebung, das Zurückgelassene und das Künftige im Finstern lassen, so habe auch sie kein Bild davon gehabt, wo es mit ihren Figuren hingehe. „Ich hatte keinen Plan für sie parat, keine ausgeklügelte Geschichte. Das alles ergab sich erst beim Schreiben, Stück für Stück.“ Oder Streckenmeter für Streckenmeter.

Die Charaktere führten ihr beim Schreiben die Hand. Und erschufen sich zum Teil sogar selbst. So sollten etwa die Kinder zunächst nur in den Gedanken, im Bewusstsein und den Erinnerungen der Hauptperson, der alten, sterbenden Frau, vorkommen und nicht als eigenständig handelnde Figuren. „Aber sie haben mich gedrängt, mich unter Druck gesetzt, wollten unbedingt ins Buch.“

Schließlich nimmt sie sie auf, lässt sie sprechen, sich erinnern, sich entwickeln. In „Bis ans Ende des Lebens“ schreibt sie aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln, schlüpft in die Haut ihrer Protagonisten. Dabei war es nicht einfach, von einem zum anderen umzuschalten. „Manchmal war es ganz schön voll in meinem Zimmer.“

Und auch das Ende einer Geschichte stehe erst spät fest. „Das erkenne ich selbst meist erst im allerletzten Moment.“ Zu viel vorheriges Planen und Kreieren eines Plots würde nur die Magie des Schreibens zerstören.

So spannend also kann Schreiben sein.

Zeruya Shalev: Bis ans Ende der Welt, Januar 2012, Berlin Verlag (aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler)