Manchmal lauert die größte Tragik in einer weißen Holzkommode: Es sollte so nett sein, werden sich die beiden gedacht haben. Schatz, mag er, nennen wir ihn Steffen, gesagt haben: Am Freitag fahren wir zu Ikea.

Nein. Piiieep. Rücklauf, denn: so war es natürlich nicht. Schatz, wird sie gesagt haben, und ja, so klingt es schon stimmiger, Schatz, am Freitag fahren wir mit deinem Auto, dem Kombi, dem langen Teil, in das so viel reinpasst, zu Ikea. Du weißt schon, neue Türen für unseren Schrank, unseren Zwei-Meter-Schrank, und dann noch diese süße Kommode aus dem neuen Katalog, diese feine mit diesen Griffen, die so – aber da hörte er schon nicht mehr zu. Trug sich nur in den Kalender ein: Freitag, 15 Uhr, Ikea Niedereschbach mit Corinna, Sylvia, Anette, wie auch immer sie heißt.

Freitag, 16 Uhr, in Niedereschbach, schalte ich mich dazu, habe vom Ikea-Café aus einen super Ausblick auf die beiden, wie sie auf dem Parkplatz stehen, zwei mit Möbelteilen beladene Einkaufswagen um sich. Wie sie die Ärmel hochkrempeln, den Kofferraum aufschließen, die Rücklehne umklappen und recht optimistisch wirken. Es ist Freitagnachmittag, die ganze Woche über haben sie erfolgreiche Projekte gemanagt, Meetings gewuppt, Konferenzen geschmissen. Das hier – ein Kinderspiel.

Sie, einigen wir uns doch auf Anette, reißt eine Decke aus dem Kofferraum, schüttelt sie, wie heißt das passende Wort, patent, ja, schüttelt sie patent aus, energisch obendrein, wirft sie mit Verve auf den Einkaufswagen, gerade so, dass sie, die Decke, fast akkurat gefaltet zum Liegen kommt. Das hat was von David Copperfield, denke ich fasziniert, auf jeden Fall viel von Powerfrau.

Wie leicht ihr alles von der Hand geht. Wie sie ihren Mann instruiert, als sie die Schranktüren, die langen, Übergröße, Buche, in den Wagen wuchten. Und dann sehe ich: Wedges-Absätze, nicht gerade niedrige, oh Mann. Und ich verzweifle manchmal schon, wenn ich die Milchtüte nicht in meinen Leinenbeutel zwängen kann. Während ich auf Sneakers-Sohlen stehe. Schwierigkeitsstufe 0-1 also.

Dann aber die Wende. Die Kommode, genau, die mit den schicken, zierlichen Knöpfen an den Schubladen, sie ziert sich. Annette und Steffen heben sie an, zielen, justieren und – allez-hopp. Aber sie will nicht passen, die Kommode, will nicht durch die doch so groß erscheinende Kofferraumluke. Warte, scheint er ihr zuzurufen, der Anette natürlich, du musst da drüben, nur noch ein Zentimeter, zieh doch mal, jetzt mach doch mal, jetzt.

Ein Zentimeter zuviel Autorahmen, ein Zentimeter zuviel Kommode – ergibt zwei Tonnen Frust.

Annette zieht ihre Jacke aus. Wird warm bei soviel Nichtfunktionierenwollen. Sie holen die Kommode, zu einem Viertel steckte sie immerhin schon im Wagen, wieder heraus, stellen sie ab. Es sind die Schubladen, die Knöpfe, die behindern, diagnostiziert Steffen und fängt an, die Schubladen herauszuziehen. Eine nach der anderen hebt er in den zweiten Einkaufswagen. Erneuter Versuch, Achtung, Kommodenkorpus anheben und – er passt hinein! Passt, passt, passt! Es waren nur die Knöpfe, freut sich Steffen. Diese dummen, albernen, überflüssigen, viel zu bauchigen Knöpfe, die kein Mensch braucht, wie überhaupt die Kommode kein Mensch braucht, wie überhaupt dieses Zusammenziehen eine beschissene Idee, wie überhaupt alles hier beschissener Mist – aber da scheint er sich doch wieder zu beherrschen. Und stellt fest: Für die Schubladen ist auch in ihrer Einzelerscheinungsform kein Platz. Eine könnten wir vielleicht noch auf den Beifahrersitz oder davor… Aber nein, der Rest. Passt. Einfach. Nicht.

Ich hole mir noch einen zweiten Kaffee. Ist gemütlich hier oben. So auf Ballerinas und nur mit zwei Artikeln im Einkaufswagen: einem Kissen. Und Teelichtern. Das Leben kann so einfach sein.

Draußen ist das Treiben unterdessen zum Stillstand gekommen. Stehen zwei frustrierte Menschen vor einem wie zum Gähnen geöffneten Kombi, die Hände in die Seiten gestemmt, schauen auf das Kunstobjekt „Kommodenkorpus im Kofferraum“. Zwei ratlose Köpfe, gefühlt zehn angespannte Nervenbahnen und gefühlt hundert aktive Schweißdrüsen. Und ein Handy, das klingelt. Gerade jetzt. Er zieht es aus der Gesäßtasche, guckt drauf, rollt mit den Augen, gibt ihr das Telefon. Sie greift zu, augenscheinlich zu langsam. Der Anrufer ist weg. Steffen kann es nicht fassen, dreht sich einmal um die eigene Achse. Rauft sich die Haare. Es ist alles zuviel. Es ist alles so was von zuviel. Dann ruft der Anrufer ein zweites Mal durch, man bespricht sich. Anette entfernt sich während des Gesprächs vom Auto, von Steffen, von der ganzen Misere. Kurz mal Luft machen, ohne dass er es hört .Das wird doch wohl erlaubt sein, das muss doch auch mal. „Und dann hat er doch glatt“, wird sie sagen. Und „wie kann man nur so“ und „ich weiß nicht, ob ich das nochmal“ – aber dann erinnert sie sich: Lösungsorientierung ist gefragt. Fünf Tage die Woche kann sie das, ruft sie Klugheit, Kommunikationsfähigkeit, Organisationsgeschick ab. Bei KPMG, bei PriceWaterhouseCoopers, bei werweißwo. Fest steht: Bei Ikea hört das nicht auf, das nicht, oh nein. Sie redet, sie gestikuliert, läuft dabei einmal um den Parkplatz. Zehn Minuten später hält ein zweites Auto, ein Kleinwagen, vor dem Kombi, die Kommode mitsamt Schubladen wird hineingeladen, der Kleinwagen fährt davon. Anette klatscht in die Hände, das wäre geschafft.

„Bei Ikea“, flötet derweil eine Jungmädchenstimme aus den Lautsprechern, „kaufst Du immer entspannt ein.“

Ikea