Ein Film, den wir gebraucht haben: Frances Ha / Foto: MFA

Dieser Film lag mir auf den Lippen. Monate-, vielleicht jahrelang. Jeder zweite Satz ein feiner und doch so großer Wurf, jede Szene so ins Mark treffend, die Situationen so austariert und ehrlich, dass ich mich fast in meinem Kinosessel winde. Vor Lachen, vor Mitfiebern, vor Erkennen.

Frances Ha ist ein Film, den wir noch gebraucht haben. Obwohl: noch gebraucht haben? Wirklich? Nach all dem „Friends“- und „Sex and the City“-Kram? All den Filmchen, in denen es darum geht, sich selbst zu finden, sich in New York zurecht zu finden … und nebenbei bitte auch noch den Traummann? (In denen Dialoge fallen wie diese: Sie 1: „Du bist doch auch nur ein Mensch“. Sie 2: „Aber das soll er doch nicht wissen!“) Und zuletzt doch auch die TV-Serie „Girls“, bei der die Hauptfigur auch zwei Jahre nach der Uni noch, so sagt sie, „damit beschäftigt ist, zu werden was ich bin“?

Jetzt also noch so ein „Künstlerin in New York muss sich selber finden, wenn schon nicht den Traummann“-Zeugs?

Ja! Jahaaa!

Also: Bei Frances Ha geht es um eine Tänzerin (großartig: Greta Gerwig, die auch am Drehbuch mitwirkte) – oder sagen wir besser: angehende Tänzerin, denn noch befindet sie sich nach absolviertem College in der Ausbildung an einer Tanzschule -, die etwas außer Balance gerät, als ihre Mitbewohnerin und beste Freundin beschließt, aus der gemeinsamen Zweier-WG auszuziehen. Von dem Moment an taumelt Frances durchs Leben, findet hier ein Zimmer, dort neue Leute, dort einen Aushilfsjob. Sie kommt nicht wirklich an, aber will sie das überhaupt? Ist das wichtig, ist das das Ziel?

Der Film – übrigens hübsch in schwarz-weiß gehalten, das kann nun interpretieren, wer will – liefert Momente, die diesen schaurig-schönen Wiedererkennungsreflex auslösen: Etwa das Telefonat mit der Mutter, die den Vater dazuholen will, und in die andere Etage brüllt: „Schatz, nimm doch mal den anderen Apparat. Warte, Kleines, Du kannst gleich weitererzählen. Schahaatz! Nein, nicht den Apparat, der hat doch keeheeine Batterie meeeehr!“

Oh, so vertraut.

Oder: Der „Lazy Saturday Afternoon“-Moment, als alles dahinzufließen scheint, man selbst noch nichts auf die Reihe gekriegt hat, der Tag so gelaufen scheint. Und Frances auf dem Sofa liegt, zwischen Trägheit und Schuldgefühl mäandernd. „Sollte ich nicht irgendwas tun?“

Oder: der „sechs Leute an einem großen schicken Esstisch“-Moment. Eigentlich alles cool,  nette Menschen, denkt man noch so. Vielleicht etwas bieder, aber so what. Und dann gehen die Gespräche los, kursieren die ersten Bilder des Nachwuchses, erzählt der eine von seinem Beruf, Anwalt, na klar, die anderen von ihrem letzten Aufenthalt in Paris („so schön“!). Und Frances, irgendwie fremd, dazwischen, zwischen all den angekommenen, situierten Menschen, die sie eigentlich mögen will. Und die den mutigen Satz sagt: „Ach, streng genommen mache ich derzeit eigentlich gar nichts.“

Dann schließlich ihre Kurzschlusshandlung, nach Paris zu fliegen. Kein Geld, egal. Die neue Kreditkarte wird’s schon tragen. Einmal was anderes machen, was Verrücktes. Was zum Nachhererzählenhaben. Warum können die Spießer am Esstisch nach Paris fliegen – und Frances nicht? Eben! Zwei Tage – wenig Zeit, ja, aber auch das gehört zum Verrückten. Und dann doch: Bonjour Tristesse, bonjour Einsamkeit. Nichts ist richtig, nichts passt, noch nicht einmal (oder kaum) der Koffer in den französischen Fahrstuhl.

Und schließlich der „falsches Timing-Moment“, als Frances bereits zurück ist in den USA und die Nachricht einer Pariser Freundin abhört. Heute Abend solle sie doch vorbeikommen, hier, in Paris, es sei auch ein toller Typ da – und lauter Künstler, ach, genau ihr Ding. Hört sie also, im Taxi, während schon die New Yorker Häuser an ihr vorbeiflimmern.

Man fühlt so mit, mit ihr. Möchte sie am liebsten in den Arm nehmen, sagen, es wird schon alles gut, irgendwann. Aber andererseits schafft sie es selbst, die Balance zu halten in all dem Wahnsinn des jungen Twenty-Something-Lebens, dem „ich bin kein Student mehr, was bin ich denn, ich muss doch irgendwas“-Lebensabschnittes. Schafft sich selbst diese Glücksaugenblicke.

Meine Lieblingsszene daher auch: Als sie – recht zu Anfang des Films – (wir können nur ahnen, dass sie gerade das Zimmer in dem neuen Apartment in Chinatown ergattert hat) die Straße entlangrennt, flashdancelike hüpft, tanzt, in angedeutete Spagats springt.

Frances Ha ist keine bedauernswerte Strauchelnde. Sie ist Tänzerin, Lebenstänzerin. Sie ist eine von uns.

Ein wundervoller Film, den wir, oh ja, noch gebraucht haben.

Frances Ha
Regie:
Noah Baumbach | USA 2012 | 86 Minuten
Darsteller: Greta Gerwig, Mickey Sumner, Adam Driver u.a.