DANI LEVY PRÄSENTIERT „DIE WELT DER WUNDERLICHS“ IN FRANKFURT //

 


Es gibt diese eine Sache, die regt Dani Levy „tierisch auf, und das seit Jahren schon“, wie er sagt, und er krümmt dabei seinen Oberkörper nach vorn, als bereite ihm allein der Gedanke daran Bauchschmerzen: Dieser Vorwurf der Filmkritiker, er möge sich als Regisseur doch bitte entscheiden, ob er mit seinen Filmen eine Tragödie oder Komödie erzählen wolle – beides zugleich gehe schließlich nicht –, diesen Vorwurf, diese Forderung findet er „so dümmlich!“ Das eine komme doch schließlich aus dem anderen, das eine finde ohne das andere nicht statt, schimpft er, als er im Frankfurter Cinema-Kino seinen neuen Film „Die Welt der Wunderlichs“ vorstellt.

Tragödie, Komödie – tatsächlich mäandert sein Film zwischen diesen Polen, und das kann, sollte man auch wirklich keinem vorwerfen. „I am Sam“, „Garden State“, „Sommer vorm Balkon“, Filmperlen wie diese bauen genau auf diesem Prinzip, rühren vermutlich gerade deshalb den Zuschauer so sehr, weil sie mit komischen und tragischen Momenten spielen. Und dass sich Levy (oben im Bild der Mann mittig mit Brille) von anderen Filmen beeinflussen lässt, streitet er – auf gewisse Ähnlichkeiten mit dem Film „Little Miss Sunshine“ angesprochen – auch gar nicht ab: „Man trägt viele Filme, die man gesehen hat, in sich, Filme, die sich an der ein oder anderen Stelle in den eigenen Arbeiten zeigen“, sagt er in Frankfurt.

Es ist etwas anderes, woran man sich als Zuschauer stören kann: „Die Welt der Wunderlichs“ ist ein Katastrophenfilm. Ein Film, bei dem die Hauptfigur (Katharina Schüttler), eine Mittdreißigerin, alleinerziehend, Verkäuferin in einem dieser schrillen, kalten Elektromärkte, von einem Drama ins nächste schlittert, doch dies so überzeichnet und nicht enden wollend, dass man irgendwann fast wegschauen möchte: Nein, nicht noch das, denkt man das ein ums andere Mal; wenn jetzt auch noch dieses klapprige Auto stehen bleibt – und schon fängt es unter der Motorhaube an zu qualmen. Ständig ist irgendeine Figur am Aufseufzen, am verärgert die Augen hochrollen, am tief Einatmen vor lauter Überforderung und Nicht-glauben-wollen, vor lauter Genervtsein von den Umständen, von der eigenen Familie, vom Leben.

Und genervt bin bald auch ich.

Man hat das Gefühl, einer Hauptfigur beim Ertrinken zuzusehen, und immer, wenn sie gerade mal wieder an der Wasseroberfläche auftaucht und nach Luft schnappen kann, tunkt irgendetwas – oder irgendwer – sie wieder hinab: der hyperaktive (doch sehr geliebte) Sohn, die kapriziöse Mama, der verständnislose Chef, der versoffene Ex-Freund (und Kindsvater). Es ist anstrengend, bei der Tortur ihres Lebens zuzusehen, es ist ermüdend. Am Anfang möchte man ihr noch ein Seil zuwerfen, wünscht sich, ihr vielleicht das Kind für eine Weile abnehmen, den Vater sedieren, der kaltherzig scheinenden Schwester oder wahlweise der überdrehten Mutter eine Ohrfeige geben zu können, damit sie, die junge Frau, endlich, endlich einmal ihre Ruhe bekommt. Aber auch das, diese Sympathie, dieses Mitgefühl mit ihr, erlischt irgendwann. Der Blick des Zuschauers verlässt sie, sie, der so viel Unfassbares in so kurzer Zeit passiert, wandert hin zu dem Puppenspieler über ihr, der ihr das alles zumutet. Was soll das?, will man ihn fragen. Was willst Du uns eigentlich sagen?

Und Levys Erklärungen überraschen: Einen Film über Alleinerziehende habe er, der auch das Drehbuch geschrieben hat, machen wollen, „in meinem Umkreis gibt es viele, die allein für ein oder mehrere Kinder sorgen und damit große Sorgen haben, häufig überfordert sind“; aber auch das Thema psychischer Störungen – der Vater der Hauptfigur ist manisch-depressiv – wollte er aufgreifen. „Immerhin nehmen diese Erkrankungen in unserer Welt immer mehr zu, zumindest werden sie immer sichtbarer, sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.“

 

20161007_133226_wunderlichs

Manchmal hilft nur schreien… Die Familie als Ort des Wahnsinns in Dani Levys Tragikomödie „Die Welt der Wunderlichs“

Diese Ur-Impulse sind nachvollziehbar, löblich vielleicht sogar, und dass Levy sich, wie er sagt, Jahre mit dem Stoff Zeit gelassen hat, nicht gleich drauf los gefilmt hat, kann man ihm hoch anrechnen. Aber vielleicht ist genau das, das Zaudern mit dem Material, die langwierige Arbeit daran, dem Ergebnis am Ende auch anzumerken: das Anstrengende folgt aus dem Angestrengten. Vom Drehbuch entstehen nacheinander ganze zwölf Fassungen, erzählt er, die Figur des Nico zum Beispiel, des hübschen Mannes am Rande, des eventual lovers, wird besonders häufig umkonstruiert; mal dichtet Levy ihm einen Job im Krankenhaus an, mal den des Staatsanwalts, der sich bald in die Hauptfigur verliebt, am Ende kommt eine Figur dabei heraus, deren Funktion der Zuschauer nicht richtig einordnen kann. „Hatte der jetzt vorher eine Beziehung mit der Schwester?“, fragt eine Zuschauerin später. „Und wurde dann auf die Hauptfigur angesetzt? Oder hat er sich verliebt? Oder wie oder was?“ „In der Tiefe seines Herzens will er jemanden glücklich machen, am Ende vermutlich vor allem sich selbst“, erläutert Schauspieler Steffen Groth, Darsteller des Nico und am Vorpremierenabend (und im Bild oben links) an Levys Seite, seine Rolle selbst.

Die Darsteller sind dann auch diejenigen, die den Film retten. Jede Szene mit Hannelore Elsner etwa, die die Mutter, eine alternde Filmdiva, spielt – ein Genuss. Peter Simonischek, der schon im Oscar-nominierten Film „Toni Erdmann“ einen Vater spielt, der seine Tochter zur Weißglut bringt, bringt es auch hier fertig, dass der Zuschauer ihn trotz allem mag.

Die punktgenaue Besetzung gehöre zu seiner Arbeit dazu, erklärt Levy. Nicht einfach prominente Schauspieler zu fragen, ob sie mitspielen wollen, ihnen die Rollen zuzuschanzen, sondern ein ordentliches, aufwändiges Casting zu veranstalten. Ob Christiane Paul oder Hannelore Elsner, sie alle mussten für ihre Rollen vorsprechen. Levy wollte sehen und spüren können, ob sie den Figuren das geben konnten, was er für sie vorgesehen hatte. Kritisch war er vor allem bei der Rolle des kleinen Sohns. „Viele Jungs, die vorsprachen, waren so typisch filmisch, wie man sie oft sieht.“ Irgendwie zu perfekt, zu glatt. Erst kurz vor Drehbeginn fand er dann Ewi Rodriguez, den, so Levy, eine besondere Aura umgebe, dem man es abnehmen würde, aus einer kaputten Familie zu kommen.

Einen Film über eine Casting-Show habe er also nicht machen wollen?, fragt ein Zuschauer. Denn schließlich ist es das, was die Filmhandlung vorantreibt: Der kleine Junge hat seine Mutter klammheimlich bei einem TV-Gesangswettbewerb à la „Voice of Germany“ angemeldet, sie, die frühere Musikerin bekommt hier ihre „Second Chance“; allein die Fahrt zur gleichnamigen (fiktiven) Live-Show in die Schweiz ist voller Tücken und Hürden. Nein, die Casting Show war ein reines Transportmittel, sagt Levy. Er habe ein Ziel für seine Figur gebraucht, etwas, auf das sie zusteuern kann. „Und dass es am Ende das Meer ist, das sie zum ersten Mal in ihrem Leben sieht, oder der Gipfel der Zugspitze, auf dem sie endlich steht, das wäre mir zu profan gewesen.“

Eine Casting-Show macht natürlich, da muss ich ihm Recht geben, mehr her. Und ja, Übertreibung macht Dinge anschaulich. Die Effekte, die Musik, die man schön reinspielen kann, dann noch eine Arabella Kiesbauer (yes!) und Thomas Anders (ach guck) ins Figurenkabinett eingebaut, wow. Es hilft nur nicht. Auch nicht den Alleinerziehenden, über die Levy doch eine Geschichte hatte machen wollen und bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ihnen mit diesem Film wirklich ein dankenswertes Denkmal gesetzt wurde. Denn: Alleinerziehend ist nicht erst dann anstrengend, wenn etwa das Kind dem Lehrer ständig Streiche spielt und der Vater ein verantwortungsloser Idiot ist und man selbst doch eigentlich so dringend, dringend Musikerin sein will. Das Drama der Alleinerziehenden, und das höre ich immer wieder aus meinem Umfeld, steckt doch im Alltag, im Kleinen. Im, ja, Dani Levy, im Profanen.

Ich hätte die Hauptfigur sehr gern am Ende einsam am Meer gesehen.