LITERATURTAGUNG TEXTLAND IN FRANKFURT ///
Vieles ließe sich sagen über diese Veranstaltung, über diese Tagung anlässlich des neuen Literaturfestivals Textland, das die Faust-Kultur-Stiftung da aus dem Boden gestampft hat.
Man könnte – erster Punkt – den Mut hervorheben, einen solchen zweitägigen Kongress zu kreieren, zu einer Zeit und in einer Stadt, in der man jeden dritten Tag, wenn man wollte, ein Literaturevent besuchen könnte: im Literaturhaus und im Hessischen Literaturforum, bei den Frankfurter Premieren und – unlängst – beim Literaturm-Festival; in Stadtbibliotheken, Buchhandlungen, in Universitätssälen – überall finden Lesungen und Autorentalks statt, und dabei hat der Blockbuster des Jahres, die Buchmesse mitsamt Open Books, noch gar nicht begonnen.
„Wir wollen Lücken lassen“
Aber die Textland-Tagung bietet ja mehr als Lesungen. Womit man beim nächsten Punkt wäre. Denn das Konzept: spannend. Knallkluge und fesselnde Keynote eines Soziologen (Armin Nassehi), Thesen und nachziehende Gegenthesen, besser noch: Reaktionen auf erstere, von Autoren und Literaturkennern, und schließlich: Diskussionsrunde, Lese-Nacht. Publikum spricht, schreibt, fragt mit.
Lücken wolle man lassen, erklärt Moderatorin und Konzept-Beraterin Insa Wilke, also nicht alles ausdiskutieren, festschreiben, betonieren, sondern Raum geben, Leine lassen. Und auch davon sollte man – unbedingt – sprechen, wenn man von der Textland-Tagung spricht: Von dieser Moderatorin, die mit Feingefühl, Umsicht und Wissen durch die Programmpunkte führt, der das Interesse am, ach was, das Brennen fürs Sujet, das Fachwissen in jeder Minute anzumerken ist: im hochaufmerksamen Zuhören, im Fäden knüpfen, Wiederaufgreifen, Zusammenfassen. Keine abgeschmackten Floskeln, sondern frische, unverbrauchte Wendungen: „Es ist schön, in all ihre Gesichter zu sehen“, sagt sie zur Begrüßung. Es ist schön, zurückzublicken, schön, sich von ihr durch die Veranstaltung navigieren zu lassen.
Sprechen sollte ich auch von den Brausepulvermomenten, die eine solche Tagung mit sich bringt. Sekunden, in denen ein Satz, ein Wort bizzelt, etwas Aha schafft, in Resonanz geht mit einem selbst.
In meinem Fall waren das die Thesen von Sharon Dodua Otoo.
Sie können sich das in etwa so vorstellen: Eben noch ist man als Besucher dabei, sich auf weitere literaturtheoretische, literaturpraktische Forderungen, Feststellungen, Überlegungen einzustellen, das Gehirn noch gesqueezed und durchmassiert von den intellektuellen Volten des Herrn Soziologen, und schon auf Spur gebracht durch die Thesen der Erstrednerin (Marjana Gaponenko, die etwa konstatierte, ein Schriftsteller, für den die Wirkung der Sprache höher rangiere als die Botschaft, der habe seinen Beruf verfehlt; und: Weltliteratur, written in German, werde von solchen Menschen gemacht, die – unabhängig von ihrer kulturellen Zugehörigkeit – reich an grenzüberschreitenden Erfahrungen sind, und die von ihrer Biografie losgekommen sind). Viel Denkstoff. Viel Reibematerial.
Und dann tritt diese Autorin auf, Sharon Dodua Otoo, eine seit 2006 in Berlin wohnende Schwarze Britin (auf das große S am Wortanfang legt sie Wert), und wirft ihre schlichten, geraden Sätze an die Wand.
Ich erlaube mir zu zitieren:
Ich schreibe gerne. Ich beziehe Position. Ich trete nach oben (wenn überhaupt). Ich bin risikobereit. Ich mache Fehler. Ich lerne dazu. Ich bleibe verletzlich. Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche. Ich bin Teil einer Community. Ich glaube Dir. // Sharon Dodua Otoo
Take this.
Als „Maßstäbe“, die sie an ihr eigenes Schreiben ansetze, bezeichnet Otoo ihre Thesen selbst. Ich würde auch sagen: Hier beschreibt eine, wie sie schreibt, gibt uns einen tiefen Einblick in ihre Werte, ihre Schreiberseele: Schreiben wird hier vorgestellt als Lust („schreibe gerne“), vielleicht gar als Bestimmung, als Ausübung in einer Verantwortung („Position beziehen“), als immerwährender Prozess („lerne“), als Vorgang, der berührt, allen voran die Schreiberperson selbst („verletzlich bleiben“), der aber auch einen gewissen Trotz, eine Stärke und Selbstbehauptung braucht (Risiko eingehen, Zeit nehmen, Fehler erlauben). Das letzte Statement ist das persönlichste und verschlossenste zugleich. Wem hier geglaubt wird (der eigenen Stimme, der eigenen Identität und Sprache, den Figuren im entstehenden Text, einem menschlichen Gegenüber, einem spirituellen Wesen?), das bleibt offen, bleibt mithin der Assoziation freigegeben.
Ich kann fast körperlich spüren, wie mich die Worte, irgendwas an ihnen (die Klarheit, die Aussagen? Die Form, der Inhalt?) ins Herz treffen. Vielleicht weil sie so privat sind, so unerhört wenig politisch in diesem so politisch aufgeladenen Rahmen. Ich schreibe und ich bin. Sonst noch was?
In Otoos Thesen fehlten die Modalverben, analysiert Insa Wilke in ihrer kurzen Abmoderation anschließend. Kein Sollen, kein Müssen, kein Können, kein Dürfen. „Hat unsere Frage nach der ‚Neuen deutschen Literatur‘ eventuell Modalverben erwarten lassen?“, überlegt die Literaturkritikerin laut. Das würde ja bedeuten – das denke nun ich –, dass es bei der Standortbestimmung von Gegenwartsliteratur, vielleicht gerade im Kontext unserer Einwanderergesellschaft, um Aufgaben geht, um Pflichterfüllung, Forderungen, Erwartungen, Erlaubnisse. Wir müssen diese oder jene Themen verhandeln, dürfen das so nennen oder anders, sollten doch endlich dies und das.
Otoo aber macht sich (oder einfach nur: ist?) frei davon. Begreift sich zwar als Teil eines Netzes, einer Community, wie sie sagt, ist also nicht völlig autark. Auch nehme sie laut ihren Thesen eine Position, also eine Haltung, ein. Aber im Fehlen der Modalverben schwingt mit, dass nichts davon unabänderlich ist, dass den Statements eine Freiheit zugrundeliegt, eine Unabhängigkeit von Gesellschaft, Institutionen, anderen Menschen, vielleicht gar eine Unabhängigkeit von sich selbst, die sie sagen lässt: Ich schreibe gern. Und eben nicht: Ich möchte schreiben. Ein Schreiben also, dem kein innerer Zwang, vielleicht noch nicht einmal ein fiebriger Antrieb vorausgeht. Ebenso: Ich beziehe Position. Nicht dass sie es wolle, müsse, dürfe. Sie tut es. Punkt. Und sie macht Fehler, ja. Aber wichtiger noch: Sie braucht keine Erlaubnis dazu (schließlich steht da nicht: Ich darf Fehler machen).
Damit lesen sich ihre Thesen zum einen als fast unbekümmert, unbeschwert, leicht. Dass sie zugleich so ernst sind, weil es schließlich um alles geht, was ihr Schreiben ausmacht, ja, das macht den Thrill dieser Sätze aus. Und erzeugt – zumindest bei mir – dieses Bizzeln. In Hirn und Herz.
Bitte nur biodeutsch?
Das also packt mich. Und dann noch etwas anderes, subtileres, und es dauert eine Weile, bis ich dahinterkomme: Ich fühle mich – beschämt. Oder zumindest: ertappt. Warum? Ohne das Programm und die Referentennamen vorher genauer studiert zu haben, hatte ich beim Topic „Neue deutsche Literatur“ an alles gedacht, nur nicht an das, was in der Pressemappe „transkulturelle Begegnungen“ heißt. Hatte thematisch neue Strömungen im Schreiben erwartet, sprich: neue Erzählweisen, sprachliche Verfahren, aktuelle Themen, frische Moden. Vielleicht eine Diskussion über neue Genrebildungen (Psychiatrieliteratur, Känguruhliteratur, was was weiß ich), so in der Art. Germanisten-Linguisten-Kram (gleichwohl geliebter).
Und dann fällt es mir auf: Ich hatte Gespräche und Debatten vor dem Hintergrund „biodeutscher“ Literatur erwartet. Hatte ich doch, oder?
Da meine ich, so weltoffen und weltinteressiert zu sein. Da meine ich mich doch so weit weg von konservativem Gedankengut, war unlängst die, die bei einer Kaffeetafel im hinteren Hochtaunus vor sehr freundlichen, sehr wohlfrisierten, aber subkutan fremdenängstlichen Frauen für Humanität und Menschenoffenheit geworben hat, die bei „Rock gegen Rechts“ laut applaudiert und bei Seebrücken-Demos stolz das alte orangene T-Shirt aufgetragen hat.
Wenn es aber um Literatur geht, um sogenannte „Neue deutsche Literatur“, lasse ich da, streng betrachtet, nicht eigentlich nur Texte von hier geborenen, zumindest hier aufgewachsenen, hier sozialisierten an mich heran? Begeistere mich nur für Texte von Zeh und Hermann, Ruge und Herrndorf, Dörrie, Melle und Stamm (ja, Schweizer, komm, geschenkt)? Oder blende den Migrationshinterodervordergrund von Autoren einfach weitgehend aus, etwa wenn ich Terézia Mora lese? Definiere ich „deutsch“ dann, wenn es um jenes geht, was mich am tiefsten berühren kann, tiefer noch als Musik oder Kunst, wenn es also um Sprache geht, definiere ich dann „deutsch“ so eng, wie es die Taunus-Damen an der Kaffeetafel tun?
Wie weiß, wie begrenzt, wie traurig.
Eigene Grenzen öffnen
Wenn Textland eines geschafft hat, dann dies: einer ihrer Besucherinnen gehörig auf den Kopf zu hauen. „Was im Alltag eher als schwierig erscheint, gelingt in der Gegenwartsliteratur: Integration“, heißt es in der Pressemappe der Textland-Veranstalter optimistisch. Das ist das Thema, nur das. Und es darf sein, na klar.
Und wenn ich etwas aus der Tagung mitnehme, dann sicher dies: Ich werde mich den Autoren öffnen, die dieses Land als ihr Land, als ihr „Textland“ begreifen. Ihnen meine Augen öffnen und meine Ohren und mein Bücherregal. Neugierig ihre Sprachbilder, ihre Themen und Stimmen aufnehmen. Werde mit Sharon Dodua Otoo anfangen („Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle„) und mit Arta Ramadami („Die Reise zum ersten Kuss: eine Kosovarin in Kreuzberg„) weitermachen. Werde Hamed Abboud lesen („Der Tod backt einen Geburtstagskuchen“) und Nather Henafe Alali („Raum ohne Fenster„).
Denn schließlich (Achtung, ich probiere mich an witty Wittgenstein): Sind nicht die Grenzen meiner Lektüre auch die Grenzen meiner Welt?
Sie gehören geöffnet. Längst.
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