Dass mir etwas fehlt, merke ich, und vermutlich ist das ein Glück, nur in Momenten. In lapidar scheinenden, gut über sie hinwegfliegbaren Augenblicken, oft: Leseaugenblicken.


Wenn eine Hamburger Journalistin etwa über ihre neue Gartenlaube schreibt, fast im Vorbeihuschen eine alte norddeutsche Formulierung gebraucht, die sich so unglaublich schön einpasst, unglaublich schön Lokalkolorit hineintupft, und das Ganze begleitet mit den Worten, „…wie wir hier oben sagen“…

„hier oben“

„wir“

„sagen“


…dann klickt es in mir, brennt es ein kleines bisschen, und ich muss das Buch zur Seite legen, dem nachspüren, dem nachdenken.

„hier oben“

„wir“

„sagen“


Wir hätten hier: eine Ortsangabe, vielleicht nicht wirklich präzise, vielleicht sogar gewollt verwaschen, denn was den Norden Deutschlands meint, könnte ebenso eine Alb im Allgäuischen oder der Berliner Fernsehturm sein. Es könnte der Nordwesten des Landes sein oder der Nordosten, die See oder das Landesinnere zwischen den Meeren bedeuten. Doch Präzision braucht es nicht, wenn es um Heimat geht. Hier ist immer hier, wenn es Heimat ist.

„Hier“ oben heißt auch: Sie, die Journalistin, ist derzeit dort, hier. Schreibt von ihrem, in diesem Sinne: ihrem Ort aus. Ist dort, wo auch ihre Gemeinschaft ist, denn das zeigt sie mit dem

wir.


Sie ist nicht allein, nicht solistisch, sie gehört zu anderen, zumindest aber wenigstens zu einem anderen Menschen. Vielleicht eher im historischen Sinn, vielleicht auch real. Und das ist, wenn es um Zusammengehörigkeit geht, um Nostalgie, auch schon fast nebensächlich.


Sagen.

Präsens. Was auch immer es ist, wo auch immer es ist, es gibt es noch. Nicht dieses: „wie meine Oma früher sagte“, nein. Die Sprache hat Bestand, der Ort hat Bestand, die Gemeinschaft wird noch existieren. Gebiet, Land, das es noch gibt. Gebiet, Land, das noch zu ihr gehört.

Warum stolpere ich nur immer über solche Steine des Anstoßes? Wie so vieles wird doch auch diese Begegnung hier nicht blanker Zufall sein. Vermutlich habe ich mir dieses Buch bei Thalia geschnappt, weil es Sesshaftigkeit beschreibt, eine Rückkehr zu den Wurzeln. Überhaupt: das Vorhandensein von Wurzeln. Die nicht nur theoretisch, symbolisch existieren, sondern die man immer noch berühren kann, die herausragen aus der Erde. Nichts gekappt, nichts resektiert.

Das Buch hat mir etwas zu sagen, will vielleicht etwas zutage fördern, mich, ja, nachdenken lassen:

Wo ist mein Land, wenn es doch nicht mehr da ist?

Meine Sprache, wenn ich sie doch nicht mehr spreche?

Meine Gemeinschaft, wenn sie mir doch fremd geworden ist?

 

„Versielt“ und „verbummelt“, wie einmal andere, irgendwo, gesagt haben.

In einem Ort, einem Erinnerungsvakuum, hier, wo einmal Wurzeln standen, erinnere ich mich

blass und dunkel.