Ich hatte so einige Pläne für diesen Abend. Etwas arbeiten, eine alte Freundin anrufen, ein paar Yoga-Verrenkungen machen – und dann einfach mal früh ins Bett gehen. Stattdessen wurde ich entführt, von diesem kleinen Sender namens ARTE.

Und das geschah in drei Stufen.

Geködert, gut, nicht weiter überraschend, haben sie mich mit einem Film mit Nina Hoss und Mark Waschke (den Schauspieler, über den ich hier schon geschrieben hatte). Fenster zum Sommer, einer Art Fantasy-Drama. Die Story: Eine Mischung aus „Haus am See“ und „Solange du da bist“. Schöne Bilder, tolle Schauspieler, spannende Geschichte. Wenn der Film nochmal kommt, schaut ihn euch an. Gute Abendunterhaltung.

Schöne neue Arbeitswelt?

Doch dann kam ich so gar nicht mehr weg. „Work hard, play hard“ hieß die nachfolgende Dokumentation, über die „Ressource Mensch“ und wie man deren „Leistungsbereitschaft steigern will“. Klang erst mal nicht wirklich spannend, irgendwie nach Management-Tschaka-tschaka, ich wollte auch nur mal für zwei Minuten reingucken.

War dann aber das Fantastischste, Aufwühlendste und zugleich Gruseligste, was ich in den letzten Wochen gesehen habe. Carmen Losmann, Autorin und Regisseurin, hat die Kamera draufgehalten. Auf Leute, die Arbeitswelten konstruieren, sich also ausdenken, wo und wie Büromenschen künftig arbeiten sollen. Auf Berater, die sich auf Human Resources Management (also die „Optimierung der Ressource Mensch“, wie Losmann in ihrer Pressemappe nochmal besonders betont) spezialisiert haben. Und auf Change-Management-Coaches mit Inka-Bause-Frisur, die in peinlich konstruierten und seltsam unterkühlten Meetings, ja, was eigentlich genau tun? Ihre Mitarbeiter vorbereiten, wiederum deren Mitarbeiter auf Veränderungen vorzubereiten. Oder so ähnlich. Oder auch, so O-Ton Inka-Bause-Verschnitt: „Motivation in die DNA der Mitarbeiter zu verpflanzen.“ Kommt schon der erste Grusel?

Dabei fängt es recht harmlos an, mit den Planungen und Überlegungen für den Neubau der Unilever-Zentrale in der Hamburger Hafencity. Sicher, da fallen schon beim Architekten Begriffe wie Optimierung und Arbeitskultur auf. Aber – in Ordnung, denkt man sich. Schöne neue Arbeitswelt – und Architekten müssen sich und ihren Kram ja auch irgendwie verkaufen. Und solange sie kleine Kaffeeecken für den Schnack zwischendurch einplanen, ist doch alles in Ordnung, denkt man, sei’s doch drum.

Aber es wird immer skurriler. Die Jungs im Hochseilgarten – ich meine, wird das etwa immer noch gemacht? Erwachsene Menschen auf Seile zu schicken, um ihren Teamgeist zu schärfen? Erwachsene Burschen, die dann so Sachen stammeln wie: „Ich freue mich so, in diesem Team zu sein und mit Euch weiter zu arbeiten.“ Und am Ende der Gehirnwäsche auf Geheiß hin die Augen schließen und sich sammeln, um „die Erfahrungen heim ins Unternehmen zu nehmen“.

Und dann der junge, vielleicht 25-jährige Marketing-Manager im Bewerbungstraining. Wie er sich „durchaus“ und „in der Tat“ und „quasi“ und „letztendlich“ verkauft, sich darstellt, sich (und ganz ehrlich, das will ich auch für ihn hoffen) verstellt. „Meine Schwächen?“ Hm. „Dass ich manchmal zu ehrgeizig bin.“ Oh. BITTE!

Ich sitze auf meinem Sofa und ziehe die Decke enger. Richtig kalt wird mir. Und schlecht.

Ich denke, das Verängstigende an den Szenen ist, dass sie so merkwürdig vertraut rüberschwappen. Wir haben das doch alle schon mal gehört, haben in Meetings gesessen, wo Milchreis-Junior-Manager-Bubis Begriffe wie Win-Win-Situation in den Mund nehmen, als hätten sie nie was anderes gesagt, von Optimierung sprechen, von „neuen Prozessen, die asap umgesetzt und nachhaltig implementiert und im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses stetig reported“ werden müssen. Und so Zeugs. So dermaßen hochgeplustertes, künstlich gepudertes, wichtigtuerisches Zeugs.

Ich hab nichts gegen Berater. Die können manchmal richtig schön den Finger in die Wunde legen, mit ihrem „Fresh-eye-view“ Dinge erkennen, die man selber, betriebsblind, wie man ist, nicht bemerkt hätte. Und ich sage Euch: Ich hab ne ganze Weile in einem Unternehmen gearbeitet, das dringend, aber dringend mal so einen externen Draufschauer und Schraubendreher gebraucht hätte.

Aber das hier? Das tut weh. Ist ehrlich und tut weh.

Der Film gewinnt unheimlich, weil er kaum kommentiert, kaum offensichtlich urteilt. Es gibt keine, zumindest keine für den Zuschauer hörbaren kritischen Fragen. Sicher, die Schnitte und Übergänge sind schlau, sie legen bloß und konterkarieren. Aber ansonsten läuft die Kamera einfach, fängt nur ein, die Bilder geben lediglich wieder, was gesprochen, was gehandelt wird. Jeder der Gezeigten ist selbst verantwortlich für den Eindruck, den er hinterlässt. Und redet sich doch dabei ungewollt und unaufhaltsam in die Lächerlichkeit.

Meine Lieblingsszene? Der Schnitt auf die blonde (Call-Center-?)Angestellte, wie sie sich in eine dieser Raucherboxen für ne kurze Zigarettenpause zurückzieht. Eben noch sah man ihre Vorgesetzten im Führungskräftemeeting, wie ihnen (von Inka-Bause-Lookalike) eingebleut wird, wie sie die Mitarbeiter „abholen“ und „mitnehmen“ müssten. Eben noch hat man ihren Teamleiter gesehen, wie er unbedarft und seltsam fremdgesteuert versucht, im Abteilungsmeeting einen auf KVP zu machen (kontinuierlicher Verbesserungsprozess, japanische Philosophie: wie läuft es heute, wie lief es gestern, warum lief es so, wie machen wir es besser) und doch nur wieder auf unmotivierte Mitarbeiter trifft. Und dann sehen wir sie, die Frau mit den blondierten Haaren, in ihrer Raucherbox, allein. Sie hat keine Chance, gegen die Entscheidungen der Change-Manager und Prozessakrobaten zu agieren, zu revoltieren. Will sie vielleicht auch gar nicht. Sie steht da – und raucht. Und fast meint man, die Rauchkringel formten vier Buchstaben. L.M.A.A.

Noch habt Ihr die Chance, Euch den Film auf Arte.tv anzugucken. Tut es, tut es! http://videos.arte.tv/de/videos/work-hard-play-hard–7357306.html

(Edit.: Mittlerweile ist der Film ist nicht mehr auf arte.tv abrufbar. Der Link geht allerdings nicht ganz ins Leere, sondern führt auf interessante Kommentare von Leuten, die den Film gesehen haben und ihn nun kontrovers diskutieren…)  

Oder, ACHTUNG, hier noch ein Update:  Am 8. Juni 2013 läuft der Film im Frankfurter Filmmuseum!

 

„Was könnte man denn hier noch ein wenig optimieren?“ Berater bereiten ein Meeting vor. Natürlich nicht ohne Folie. (Szene aus dem Film „Work hard play hard“)