Ich könnte mir das natürlich nur einbilden.
Aber liegt nicht etwas Neues, Frisches in der Luft? Eine Klarheit, die gestern, nur 24 Stunden zuvor, noch nicht da war?
Es ist Neujahr – und ich gehe denselben Weg, den ich gestern lief, vorbei an Feldern, an Höfen, kleinen Hainen. Sehe dieselben Bäume und Häuser und treffe sogar den ein oder anderen Spaziergänger von gestern wieder. Aber gestern noch bin ich geschlurft, dick eingepackt und in Gedanken beim zu Ende gehenden Jahr, bei allem, was mies saumies gelaufen ist und dann ja doch eigentlich ganz gut, was ich einigermaßen passabel gewuppt habe – und was so ordentlich verbockt.
Heute aber jogge ich, habe sogar einen ordentlichen Trab drauf, habe Kraft und Ausdauer, einen freien Kopf – und bin selber ganz erstaunt. Und allen Leuten, die mir entgegenkommen, scheint es ähnlich zu gehen. Ich sehe auf ihren Gesichtern Erleichterung („Weihnachten ist ja doch ganz gut gelaufen. Trotz Tante Hertha.“), Entschiedenheit („Jawoll, dieses Jahr wird alles anders, ab heute werde ich…, und überhaupt…“), Freude und Zuversicht („Er hat mich geküsst, gestern, endlich, zu Silvester. Das wird ein tolles Jahr“).
Das Alte, es ist vergangen, was schert uns der Kram vom letzten Jahr.
Die Leinwand, die 2014-Edition, ist noch so wunderschön blitze-blanke-weiß, unbeschrieben, jungfräulich, und es kitzelt uns, oder zumindest mich, zu den Stiften zu greifen.
Noch zeichnen sich auf meiner Leinwand keinerlei Umrisse ab. Oder doch? Ich hätte Lust, wieder so ein Reise-Blog-Projekt zu starten wie dieses letztes Jahr newyorkfateofmine.wordpress.com. Fünf Wochen war ich in New York, habe darüber geschrieben – und dadurch viel mehr gesehen und erfahren als ohne die Bloggerei im Hintergrund.
In welches Land treibt es mich 2014? Meine Finger scheinen es schon zu wissen und greifen nach den Farben grün und rot und weiß… Oder doch wieder blau-weiß-rote Stars and Stripes? Vielleicht mal Chicago erkunden? St. Louis? La dolce vita oder American way of life?
Und was wird aus dem großen Weiterbildungsplan, der mich seit einem halben Jahr umtreibt? Nochmal die Schulbank drücken, wirklich? Und wie schaffe ich bei all den Flausen im Kopf Ideen und Möglichkeiten und Vorhaben noch meine Arbeit?
Und dann fühle ich plötzlich – ich jogge gerade bei Bauer Mädjekrupp vorbei -, dass ich wohl über etwas hinweg bin. Über diese Angelegenheit. Über diesen Mann und diese Frau – und die Frau bin ich selbst -, die dafür gesorgt haben, dass ich mein Herz in den letzten Wochen wie zwei Rinderhälften mit mir rumschleppen musste. Geteilt, ausgenommen, blutig, unansehnlich. Gemartert. Gebrochen.
Zwei Menschen, die es nicht hingekriegt haben. Er, der sie mit Rilke, Reiser und smartem Saxophon ganz kirre machte, dass sie sich fast selbst verlor (und wenn wir uns selbst fehlen, fehlt uns doch alles…), und sie, die nicht auf den Gang, die Magie der Geschichte vertrauen konnte, die vorantreiben, festhalten, sicherstellen wollte. Was nun mal nicht geht, in der Liebe. Was niemals geht. Unsicherheit und Ungewissheit muss man aushalten können. Wie die Stille, nachdem die CD zu Ende gespielt hat, wenn die Musik plötzlich erstirbt und zwei Menschen auf sich und ihre eigenen Geräusche zurückfallen: aushalten, vertrauen, tief ein- und ausatmen. So geht das. Nur so.
Hinterher war sie klüger, aber hinterher war er weg. Und das Herz – Rinderhack im Sonderangebot.
Aber lassen wir das. Das Herz ist notdürftig wieder zusammengezimmert, mit dem Kleber „Geduld“ geleimt und dem Flickerl „With a little help from my friends“ gestopft und repariert. Es klopft wieder vorsichtig fröhlich im Polka-Takt statt im sentimentalen Blues-Rhythmus.
Was ich nur sagen, mir für 2014 hinter die Ohren schreiben will: not anymore. Ich passe jetzt auf, jawohl, verteidige das rote, klumpenförmige Muskelpaket da in meiner Brust. Hab doch nur eins. Und wenn da wieder jemand mit Schlachtermesser um die Ecke kommt, dann halte ich dagegen.
Zur Not mit Farbstiften.
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