Ich bin ein Weihnachtsmädchen. Schon immer gewesen.

Seit ich denken kann, fiebere ich schon im Herbst den ersten Adventslichtern entgegen. Es geht gar die Legende, dass ich als Vierjährige die Weihnachtskiste meiner Eltern hervorkramte, fiebrig auspackte – und das Wohnzimmer mit Christbaumkugeln und Lametta geschmückt habe. Im August. Und ja – auch heute noch kann ich es manchmal kaum erwarten.

Keine Ahnung, wo diese Faszination für Adventliches herkommt. Die hingebungsvolle Liebe zu Plätzchenduft und Kerzen und – ja, so weit geht es sogar – Weihnachtsliedern (ich nehme alles: Reinhard Mey, Cliff Richard, die Schlümpfe). Ein Psychologe würde vermutlich was über „als Siebenjährige rausgerissen aus gewohntem Umfeld“ philosophieren, über die Übersiedlung von einem Land in ein anderes, jaja, das fördere die Sehnsucht nach Familiärem und Besinnlichem, und Weihnachten sei da ja symbolisch und -.

Lassen wir den Psychologen reden. Ich trinke noch nen Glühwein.

Was ich eigentlich sagen wollte: Ich und meine Weihnachtsliebe, wir sind zäh. Was hat sich uns bislang auch alles in den Weg gestellt. Unglückliche Termine in der schönsten Zeit des Jahres: Fiese Mathearbeiten Mitte Dezember (warum liegen auch die Weihnachtsferien hinter dem Fest – und nicht davor? Das habe ich nie kapiert), der sadistische Ausbildungsbetreuer Herr Becker in der Einkaufsabteilung (warum musste ich auch just im Dezember für drei Wochen in seine Obhut kommen? Im Juli hätte ich den Widerling besser ertragen), das erste Gefühl von Einsamkeit, nachdem ich dachte, ich könnte mal eben so in eine völlig fremde Stadt ziehen. Und dann dort: die Weihnachtszeit.

All das hat mir und meinem Weihnachtszauber nichts anhaben können. Ich habe mir Zweige gekauft, wie jedes Jahr, habe schöne Kerzen ausgesucht, wie jedes Jahr, mir einen Tee gekocht, Musik aufgelegt, die Kerzen angezündet – und mich der Besinnlichkeit hingegeben. Wie jedes Jahr.

Aber nie habe ich den Beginn der Weihnachtszeit so gefürchtet wie diesmal. Schon als ich die ersten Lebkuchen im Supermarkt sah, spürte ich einen Stich. Nee, nee, bitte wartet noch, wollte ich, ja wem, den Kalendermachern?, dem Weihnachtsmann?, dem Supermarktfilialleiter? zurufen, ich muss mich erst bereit machen, das geht jetzt noch nicht, ich hab da noch was zu verkraften.

Es  kann doch nicht Adventszeit sein, wenn in mir noch so viel arbeitet, wenn ich noch so traurig bin über eine elende Sache, die passiert ist, und die ich dem Schicksal zuschreiben kann oder diesem einen Mann – oder einfach nur mir und meiner Ungeduld und meinem Misstrauen.

Ich kann doch nicht fröhlich oder be-sinn-lich sein, wenn mir der Sinn nach Taschentüchern steht. Nicht Lebkuchen essen, wenn ich noch am Liebeskummer knabbere. Und wie – um Himmels willen – soll ich nur Mariah Careys „All I want for Christmas – is youuuu“ ertragen? Wie?

Können wir das nicht verschieben?, denke, flehe ich Ende November. Das ganze Brimbamborium? Das wunderschöne, geliebte Brimbamborium? Auf Februar vielleicht? Nein, besser gleich aufs nächste Jahresende?

Du könntest verreisen, rät mir eine innere Stimme. Einfach abhauen. In die Sonne, irgendwohin, wo nichts an ihn erinnert. Portugal, die wärmste Ecke Europas im Dezember, lese ich im Bahn-Magazin. Oder auch Italien. La dolce vita meets Lebens-Liebeskrise.

Ach. Nee.

Freunde schleppen mich auf den Weihnachtsmarkt. Quasi als Schocktherapie. Ich betrinke mich inmitten von Lichtern und „Kling, Glöckchen, klingeling“. Und fühle mich ganz okay dabei. Mona begleitet mich, als ich mir meine Adventszweige kaufe, sonst ein geliebtes Solo-Ritual. „Du solltest das dieses Jahr nicht allein tun“, sagt sie, die Gute. Ich kaufe mir Vitamin D, ich kaufe mir Halbbitterschokolode (fürs Serotonin), ich kaufe mir Unmengen Bananen. Ich muss da irgendwie durch.

Und dann lese ich in einem Wartezimmer einen Artikel. Erst will ich ihn überblättern („So schön ist der Advent“ ist er übertitelt, und er steht in einer Fernsehzeitung…), dann aber bleibe ich hängen. Ein wundervoller, ein anrührender und kluger Text: Früher, schreibt die Autorin, Silke Pfersdorf, war der Advent nicht fröhlich oder gar lustig, sondern – weil ja Fastenzeit – , vielmehr traurig und düster. Stille und Einkehr waren angesagt, das Nachdenken über eigenes Verfehlen. „Das Schöne sollte ja erst noch kommen“, heißt es im Text. Advent, advenire – ankommen.  Später dann, als der Adventskranz erfunden wurde, besannen sich die Menschen auf germanisches Brauchtum – und benutzten Zweige und rote Kerzen. Und noch heute soll das Grün Trost und Kraft spenden, das Rot Freude verkörpern.

Ich lasse die Zeitschrift sinken. Ja, vielleicht ist es auch das. Der Advent. Eine Zeit, zu sich zu kommen. Eine Zeit, in der man ruhig zulassen sollte, dass nicht immer alles rosig und bunt und zuckersüß ist. Dass man Trost braucht, Kraft schöpfen muss. Aus Tannengrün, aus Plätzchenduft, aus Glühwein – meinetwegen.

Die Autorin zitiert weiter einen Pastor, der dazu anregt, den Advent auf sich zu beziehen, also nicht nur auf die biblische Geschichte und die berühmte Geburt im Stall – sondern darauf, dass auch etwas Neues in einem selbst erwachen, geboren werden kann. Ein neues Hobby, wie es im Text heißt, oder, füge ich still hinzu, ein neuer Gedanke, ein neuer Geist. Eine neue Freiheit.

Stück für Stück, Adventssonntag für Adventssonntag lassen wir es immer heller werden, schreibt Pfersdorf. „Bis am Weihnachtsabend alles erstrahlt.“

Und so lege ich also doch wieder meine Musik ein. Zupfe die Zweige zurecht. Zünde die Kerzen an. Eine nach der anderen.

Das Schöne wird erst noch kommen.

Ganz bestimmt.