Der Verleger und seine Entdeckung: Christian Ruzicska und Deborah Feldman im Frankfurter Literaturhaus

Der Verleger und seine Entdeckung: Christian Ruzicska und Deborah Feldman im Frankfurter Literaturhaus

DEBORAH FELDMAN BERICHTET IM LITERATURHAUS ÜBER IHREN AUSSTIEG AUS ULTRA-ORTHODOXER GEMEINDE //


Dass wir an diesem Abend eine Verabredung mit nicht einer, sondern mit zwei Frauen haben, zwei Deborah Feldmans, um genau zu sein, das zeigt sich nach zehn Minuten:

Eben noch war die amerikanische Autorin ganz die junge Neu-Berlinerin, die munter, fast kokett davon erzählt, wie sie nichtsahnend in die Hauptstadt zieht, nichtsahnend vor allem nach Neukölln, nur der Ermunterung ihres künftigen Vermieters folgend: „Wie Neukölln so ist? Sie sind doch aus New York, dann kennen sie das schon…“ Sie erzählt, dass Berlin zuvor für sie immer Zuflucht bedeutet hatte. „Wann immer ich von meinen Reisen durch Europa zu deprimiert war, ging ich nach Berlin; Berlin ist eine Flüchtlingsstadt, viele Menschen ohne Wurzeln kommen hierher, flüchten geradezu in diese Stadt.“ So auch sie. Sie erzählt, wie sie ihren Verleger das erste Mal trifft, Christian Ruzicsk, in einem dieser an der Sonnenallee noch seltenen Hipster-Cafés. Wie er ihr auffällt mit seinen langen Haaren, „normalerweise sieht man, wie lang die Haare sind, weil er sie sonst offen trägt. Den Zopf, den hat er heute nur, weil wir hier in Frankfurt sind.“ Und sie lächelt verschmitzt zu ihm rüber.

Christian Ruzicsk wird diesen Abend im Literaturhaus begleiten, Stellen aus Feldmans autobiographischem Roman „Unorthodox“ lesen und seinem Schützling, seiner Entdeckung Fragen stellen. Das haben sie in dieser Konstellation schon oft gemacht. Und doch wirkt das Gespräch, der sanft von Ruzicsk angeleitete Monolog der Autorin, wie neu, wie frischer Schnee.

Verschmitzt, kokett, munter – das ist die eine Feldman. Die andere zeigt sich von einer Minute auf die andere, als Ruzicsk sie – ganz Moderator – nach ihrer Vergangenheit fragt, nach der chassidischen Satmar-Gemeinde in New York, Williamsburg, in der sie aufgewachsen ist, und aus der sie jung, 23-jährig, und gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn ausstieg.

Ernster wirkt sie plötzlich, auf eine irritierende Weise älter, sie rückt auf ihrem Stuhl nach vorne, lehnt ihre Unterarme auf den Tisch, als wolle sie sich stabilisieren, drückt den Rücken durch. Sie knubbelt an ihren Fingerspitzen herum, nestelt an ihrem Armband. Ihre Stimme wird tiefer jetzt, fast sonor.

Das Armband. Ihre Großmutter, „Bobbe“, hat ihr das geschenkt, da war sie gerade 16 Jahre alt geworden und hatte die Schule beendet. Sie sei jetzt heiratsfähig und müsse hübsch aussehen, sagte ihr die Großmutter damals, nicht ohne Zärtlichkeit. Sie tragen Verantwortung, die Frauen in der Satmar-Gemeinde, nicht öffentlich und nicht formal, nein, da regieren, entscheiden die Männer. Die Männer sind für die geistige Erziehung zuständig, die Beziehung zu Gott, die Frauen dagegen für die Wäsche und für das Essen – „die praktischen Dinge eben“. Doch stets ist es die Schuld der Frauen, so wird es ihnen zumindest beständig suggeriert, wenn in der Welt den Juden etwas Schlimmes geschieht. „Wieder eine antisemitische Aktion irgendwo in der Welt? Dann wird das daran liegen, dass ich den Rock zu kurz, die Haare zu lang getragen, zu laut gelacht habe“, erinnert sich Feldman. „Schuld“ ist das Gefühl, mit dem sie aufwächst. Die Tatsache, dass ihre Mutter die jüdische Gemeinde verlassen hatte und verschwand, als Deborah noch ein Kind war, verstärkte dieses Gefühl. „Es gab diesen Fleck auf unserer Familie, und ich war der menschliche Beleg, die beständige Erinnerung daran.“ Einmal habe sie als Teenager alte Fotos durchgestöbert und entdeckt, dass ihre Großmutter ihren Rock früher kürzer getragen habe als sie, Deborah, es habe tun dürfen. „Bobbe“, sagte sie daraufhin, „wir kann es sein, dass wir heute so lange Röcke tragen müssen, euer Rocksaum damals aber so viel höher hing, noch oberhalb der Knie?“ Eine richtige Erklärung habe ihr „Bobbe“, und jetzt nestelt Feldman wieder an ihrem Armband, nicht geben können. Es seien eben andere Zeiten gewesen, habe die alte Dame gesagt. „Das hat mir gezeigt, dass die Regeln, denen ich unterliege, nicht stabil sind, nicht zuverlässig“, so Feldman. „Und ich musste befürchten, dass sie in Zukunft noch enger würden.“

Er liest. Sie nestelt gedankenverloren am Armband, einem Geschenk ihrer Großmutter.

Er liest. Sie nestelt gedankenverloren am Armband, einem Geschenk ihrer Großmutter.

Weiß Deborah Feldman, wie schön es ist, ihr zuzuhören? Sie spricht wunderbare Sätze, wählt Worte mit Bedacht, will präzise – in der für sie fremden, wenn auch durch das Jiddische nahen Sprache – ausdrücken, was sie meint, tut das aber so entspannt, dass man ihr die Anstrengung nicht anmerkt. Diese Frau ist bewussten Umgang mit Sprache gewohnt. „Ihrem Buch ist anzumerken, dass sie nicht nur Autorin ist, sondern auch Leserin“, sagt die Sprecherin des Jüdischen Museums. „Das Buch sprüht vor Literatur.“

Wie sie heute ihr Judentum definiere, will jemand aus dem Publikum wissen. „Definieren?“, fragt Feldman zurück. „Ich finde es interessant, dass man Judentum definieren muss.“ Es sei doch einfach da, man könne es „nicht züchten, genauso wenig, wie ich meine Vergangenheit tilgen kann.“

Und dann erzählt sie von ihrem neuen Leben in Berlin, davon, dass sie froh ist, dass ihr Sohn, heute zehn Jahre alt, hier aufwachse, weil man in New York „doch ewig ein Kind“ bleibe, in Berlin aber gut groß werden könne, „der Nahverkehr, die S-Bahn, der Junge darf Abenteuer erleben“. Er gehe auf eine deutsch-amerikanische Schule, habe dort einmal in der Woche jüdischen Unterricht, freitags werde sogar „so eine Art Shabbat“ zelebriert, für das Deborah manchmal traditionelles jüdisches Essen kocht. Ihr Sohn ist stolz, wenn er die Gerichte dann in die Schule mitbringen kann. „Nicht wahr, Mama“, freue er sich dann, „wir sind echt jüdisch“. Deborah Feldman lacht, als sie das erzählt.

An ihrem Armband hat sie nun schon seit zehn Minuten nicht mehr genestelt.

 

Deborah Feldman: Unorthodox
Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Ruzicska

Autobiographie. Gebunden ohne Schutzumschlag etwa 270 Seiten.

ISBN 978-3-905951-79-0
ISBN 978-3-905951-80-8 (E-BOOK)

Mehr über Deborah Feldman: http://www.deborahfeldman.de